FreeBook Das Laecheln der Gerberstochter
nach vorne.
»Nein!«, schrie Benno auf. Es klang wie der Schrei eines verwundeten Tieres. »Nein! O Gott, nein!«
Er blickte nicht zum Ufer, wo der Schütze stehen musste. Er achtete nicht auf den zusammengesunkenen Gerbermeister. Er hatte nur Augen für Rosa, die am Boden des Bootes lag.
Benno wankte durch den schaukelnden Kahn nach vorne zum Bug, ließ sich neben Rosa nieder und bettete ihren Kopf in seinen Schoß. Der Schuss hatte sie in der linken Brust getroffen. Ihr Kleid färbte sich rot.
Er konnte nicht fassen, was er da sah. Sein Denken war wie blockiert, seine Hände und Beine zitterten. Tränen verschleierten seinen Blick, liefen ihm die Wangen hinunter. Der Schmerz schüttelte seinen ganzen Körper.
Rosa lag mit geschlossenen Augen in seinem Schoß, als würde sie schlafen. Sogar jetzt schien ihr Mund noch zu lächeln.
Benno schaute unverwandt in ihr süßes Gesicht. Er konnte seinen Blick nicht von ihr wenden. Er bemerkte nicht, dass seine Wunde wieder zu bluten begann. Er spürte nicht einmal den dumpfen Schmerz in seinem Kopf.
Seine Gedanken wurden nebelig, verschwommen, genauso wie sein Blick. Die Dunkelheit griff nach ihm. Tonlos flüsterte er: »Schlaf, meine Schöne, schlaf tief und fest. Ich komme jetzt zu dir.« Er neigte seinen Kopf auf ihre Stirn. Dann wurde es dunkel vor seinen Augen.
Die Abendsonne spiegelte sich auf dem Wasser, färbte es genauso blutrot wie den Himmel im Süden über der brennenden Stadt. Das Boot trieb weiter den Fluss hinunter, bis es hinter einer Buhne in einen kleinen Strudel geriet. Dort schaukelte und drehte es sich – wieder und wieder wie in einem endlosen Kreis.
Hundemüde und rauchgeschwärzt kehrte Georg Ackermann am nächsten Morgen ins Lager der Pappenheimer zurück, auf der Schulter das Tuch, in das er seine Beute gewickelt hatte. Kaum jemand achtete auf ihn, denn jeder Söldner oder Offizier schien nur mit zwei Dingen beschäftigt zu sein: Beute heranzuschleppen, die sie am Vortag zusammenraffen konnten oder jetzt aus den feuergeschwärzten Trümmern der Stadt geborgen hatten, oder Gefangene zusammenzutreiben, die sich für gutes Lösegeld freikaufen konnten.
In seinem Zelt angekommen, vergrub Georg Ackermann seine Beute sofort und legte einen abgetretenen Läufer über das frisch zugeschüttete Loch. Zwar würde wohl kaum jemand wagen, einen Kapitän zu bestehlen, aber sicher war sicher. Auch sein Bursche und seine beiden Leibwächter waren nur Menschen.
Einige Zelte weiter keifte die Frau eines Söldners: »Ich hatte es dir schon gestern gesagt: Was soll ich mit dieser Großfamilie? Die ganze Brut etwa durchfüttern? Und womit, bitte schön? Stadtschreiber hin oder her. Diese Frieses haben doch kein Geld. Wovon sollen die denn Lösegeld zahlen? Du hättest besser getan, nach Gold und Silber zu suchen!«
»Halts Maul, Weib«, antwortete ihr eine raue Männerstimme. »Sollte ich diese süßen Kinder etwa von den Wallonen abschlachten lassen? Zumal sie Lutheraner sind wie wir?«
»Zum Teufel mit dir, Mann. Wir brauchen was zum Beißen und etwas, das uns durch den nächsten Winter bringt.«
»Dann komm jetzt, es ist noch genug zum Plündern da. Der Herrgott wird's uns schon vergelten, dass wir der Familie des Stadtschreibers das Leben gerettet haben.«
Georg Ackermann blickte aus seinem Zelt und sah noch, wie der Söldner und seine Frau mit Feldspaten und Körben in Richtung der niedergebrannten Stadt marschierten.
Das Feuer war gestern früh in der Stadt an verschiedenen Stellen ausgebrochen. Manche Söldner sagten, ihre Kameraden hätten selbst die Brände gelegt, um die Bürger einzuschüchtern und ihren Widerstand zu brechen. Andere meinten, es seien fanatische Protestanten gewesen, die lieber ihre Stadt in Flammen aufgehen lassen wollten, als sie dem Feind zu überlassen. Doch niemand konnte Genaues sagen.
Das Feuer war jedenfalls schnell außer Kontrolle geraten, weil ein Sturmwind die Flammen angefacht hatte. Innerhalb weniger Stunden war so der größte Teil von Magdeburg mitsamt seinen Kirchen ein Raub des Feuers geworden.
Nicht nur Georg Ackermanns Kompanie hatte die Stadt verlassen, weil Hitze und Rauch unerträglich geworden waren, auch die anderen Söldner hatten die Plünderung abbrechen und sich auf die Wälle vor der Stadtmauer zurückziehen müssen.
Nach ersten Schätzungen waren nicht einmal zweihundert Häuser erhalten geblieben, darunter die Hütten am Fischerufer und die Gebäude rund um den Dom und dem Kloster Unser
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