freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
Minuten später hörte er Gekreische und Jubel, da war ihm
klar, daß seine Mitspieler es endlich geschafft hatten. Kurz darauf kam ein Betreuer in die Umkleide, um ihn aufzuklären:
»Ein faustdickes Eigentor, da war selbst dieses Arschloch machtlos.« Der Betreuer umarmte ihn unter Tränen und rannte wieder
hoch, um bis zur letzten Minute mitzuleiden. Marco Luciani war bereits unter der Dusche, als seine Kameraden in die Umkleide
platzten, trunken vor Freude. Dann holte jemand Sektflaschen hervor, und es begannen die Sprechchöre: »Zweite Liga, zweite
Liga.« Das war der Durchbruch in ihrem Leben: mehr Geld, mehr Aufmerksamkeit durch die Medien, Auswärtsspiele in großen Städten
und Bilder im Fernsehen.
Marco Luciani zog sich in aller Ruhe an. Während die anderen grölten und sangen, dachte er an einen schönen Satz, den er sagen
konnte, irgendeine Sentenz, die in die Annalen eingehen würde. Er verließ die Umkleide und postierte sich vor der Kabine des
Schiedsrichters. Er meinte, mit der Zeit würde er sich abregen, und einmal spürte er sogar, wie ihm Zweifel kamen. Er sah
sich mit absoluter Klarheit in einer jener entscheidenden Situationen, die man gewöhnlich erst im nachhinein erkannte, ein
Scheideweg, von dem aus es entweder auf einer bequemen Straße wie von selbst ins Licht ging oder in einen finsteren Wald voller
Dornengestrüpp. Er dachte an den Katechismus und die Tatsache, daß der Weg in die Hölle der bequemste ist, während der Weg
zum Paradies steinig und steil ist. Aber dies war hier nicht der Fall, diesmal wartete am Ende des steinigen Weges keine Belohnung,
der Pfad blieb so unwegsam bis zum Schluß und endete in einem riesigen Scheißhaufen.
Als Schiedsrichter Ferretti aus Livorno aus der Kabine kam, versperrte Marco ihm den Weg, er näherte sich seinem Gesicht bis
auf wenige Zentimeter und sagte leise: |352| »Weißt du, Schiri, als wir Kinder waren und auf dem Hof spielten, galt die Regel: drei Ecken ein Elfmeter. Du hast mir heute
für drei Elfmeter nicht einmal einen Eckball gegeben. Und dafür bezahlst du jetzt.«
Er traf ihn zuerst mit einer Rechten auf den Mund, er hatte mit aller Kraft zugeschlagen und meinte, die Zähne brechen zu
hören. Dann plazierte er eine Linke aufs Auge. Als Ferretti zu Boden ging, trat er ihm mit dem Knie gegen die Nase, die sicher
brach. Er mußte ihn noch einige Male getroffen haben, ehe die Linienrichter ihn festhielten, und hätten sie das nicht getan
– er hätte ihn umgebracht.
Jawohl. Ich hätte ihn umgebracht und es später nie bereut, dachte Marco Luciani. Monatelang spürte er auf seinem Knie den
Abdruck der Nase, hörte er das Geräusch des Nasenbeines. Es war ihm jedes Mal unheimlich und gleichzeitig ein Trost, wenn
er an das Leben dachte, das ihm für immer verwehrt bleiben würde: Er wurde lebenslang gesperrt, bekam ein Strafverfahren und
eine Schadenersatzklage an den Hals. Später zog der Schiri die Anzeige zurück, denn ein Verbandsmitglied konnte damals ein
anderes nicht anzeigen, ohne seine Mitgliedschaft zu verlieren. Und die Tatsache, daß der Schiedsrichter auf Schadenersatz
und eine Verurteilung Marcos verzichtet hatte, war ein weiterer Beweis für seine Korruptheit: Ferretti wußte, daß er viel
mehr kassierte, wenn er weiterpfiff. Auf dem Fußballfeld ließ er sich allein von berechnendem Ehrgeiz leiten, und er wäre
jeden Kompromiß eingegangen, um sein Fernziel zu erreichen. Natürlich spielte auch Marco Luciani aus Ehrgeiz, er wollte eines
Tages im Dreß eines großen Clubs oder gar der Nationalelf auflaufen, aber er spielte auch aus Leidenschaft und Liebe, und
weil dieser Sport von atemberaubender Schönheit war. Er verzichtete leichten Herzens auf seine Träume, als ihm klar wurde,
welchen Preis er würde bezahlen müssen.
|353| Umberto Angelini thronte auf seinem Sessel und setzte eine Miene auf, als hätte er das Urteil des Jüngsten Gerichts zu verkünden.
Aufgereiht zu seiner Rechten standen: Staatsanwalt Delrio und der Carabinieri-Oberst Lo Bianco, der freundlicherweise sein
Büro für dieses Schlachtfest zur Verfügung gestellt hatte. Zu Angelinis Linken befand sich außerdem Vizekommissar Giampieri;
Marco Luciani grüßte, indem er nickte und schuldbewußt lächelte, aber sein Vize wandte sofort den Blick ab. Der Kommissar
konnte nicht umhin: er mußte schlucken.
Angelinis Adlernase zielte auf ihn und nagelte ihn zwei Meter vor dem Schreibtisch
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