freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
empfing Urd ihn beim Aufwachen nicht mit einem reichhaltigen Frühstück, sondern lag schlafend und blass vor Erschöpfung neben ihm. Thor verzichtete darauf, sie zu wecken, sondern zog den Arm so behutsam unter ihrem Kopf hervor, wie es ihm nur möglich war, und schlich auf Zehenspitzen aus dem Raum.
Er bereitete sich selbst ein karges Frühstück und trat dann in seine an drei Seiten offene Werkstatt hinaus. Er fror erbärmlicher als in all der Zeit oben in den Bergen, und als er den Schmiedehammer zur Hand nahm, kam ihm das Werkzeug schwerer und unbeholfener vor, als es ihm in Erinnerung war. Vielleicht war es ja wirklich so, wie er schon ein paarmal gedacht hatte, und er wurde allmählich immer mehr zu einem ganz normalen Menschen. Sonderbarerweise hatte dieser Gedanke seinen Schrecken für ihn verloren.
Aber vielleicht war er auch einfach nur müde.
Er hatte selbst nicht damit gerechnet, noch einmal einzuschlafen, sondern sich im Grunde nur noch einmal hingelegt und den Schlafenden gespielt, um das unangenehme Gespräch mit Urd nicht fortzusetzen und am Ende vielleicht wirklich in Streit mit ihr zu geraten. Fast zu seiner eigenen Überraschung war er trotzdem eingeschlafen, aber es war ein unruhiger Schlummer gewesen, der ihn eher Kraft gekostet hatte, als ihn zu erfrischen.
Mit den Blasebälgen fachte er das Feuer an, bis sich aus der Holzkohle eine satte Glut gebildet hatte. Dann nahm er denKriegshammer, den er zu Ende hatte schmieden wollen, und legte ihn mitten in das Glutbett. Erneut betätigte er die Bälge, bis der Stahl die gelbe Farbe erreicht hatte, die ihn gefügsam machte, ohne ihn zu verderben. Dann nahm er den Hammer mit der Zange heraus und legte ihn auf den Amboss.
Obwohl ihn jeder Hieb ein winziges bisschen mehr Mühe zu kosten schien als der vorherige, schwang er den Hammer mit verbissener Entschlossenheit, dass die Funken nur so flogen. Wahrscheinlich ruinierte er auf diese Weise das Werkstück, aber so mühsam jeder einzelne Hammerschlag auch sein mochte, gaben ihm der Schweiß und der pochende Schmerz in seinen Muskeln doch das Gefühl, lebendiger zu sein als jemals zuvor; und das auf eine vollkommen neue Art.
Er wartete darauf, dass der Stahl seine Farbe verlor, um ihn dann erneut zu erhitzen, ein Vorgang, den jeder gute Schmied zwei- bis dreimal wiederholte, wie er von Hensvig gelernt hatte. Anschließend erfolgt das Weichglühen, ein sechs- bis siebenmaliges Erhitzen zur Rotfärbung des Stahls und anschließende Abkühlung in heißem Sand.
Doch der stählerne Hammer tat ihm den Gefallen nicht, abzukühlen, schien im Gegenteil mit jedem Schlag heißer zu werden. Die Runen, die er in die Flächen des Hammerkopfes und in den stählernen Stiel eingelassen hatte, glühten noch heller als der Stahl selbst, als seien sie von einem Feuer erfüllt, das nicht aus der Esse der Schmiede stammte, sondern aus ihrem eigenen Innern herausdrang, ein Feuer aus den untersten Regionen der Hel, das von einem unheimlichen, fremdartigen Leben erfüllt war.
Der Hammer vibrierte. Mit jedem Schlag steigerte sich das Lied, das er sang, von einem Summen zu einem immer lauter werdenden Choral, in den sich andere Stimmen mischten, die Stimmen derer, die Mjöllnir im Laufe seines unheiligen Lebens getötet hatte, und es waren viele. Tausende, Abertausende. Das Lied dröhnte Thor in den Ohren, doch er wußte gleichzeitig genau, dass keiner außer ihm es hören konnte. Dieser Hammer war sein, so wie er es immer gewesen war.
Mjöllnir.
Und gleichzeitig war da wieder das Kratzen und Wispern in seinem Geist, wie von einer anderen Präsenz, die ihm etwas einzuflüstern versuchte, einer drohenden, lauernden Gegenwart, die ein Teil von ihm war und zugleich unendlich fremd.
Seine Muskeln schmerzten jetzt heftig, aber es war ein wohltuender Schmerz, und selbst die Mühe, die es ihn mittlerweile kostete, den schweren Schmiedehammer zu heben, hatte zugleich etwas beinahe Erfrischendes.
»Je länger ich dir zusehe, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass es ein Fehler war, so viele Männer in die Berge zu schicken, um die Festung zu bauen.«
Thor ließ den Hammer ein letztes Mal auf Mjöllnir niedersausen, dass die Funken sprühten. Dann nahm er das glühende Werkstück – nein, es war kein bloßes Stück Eisen, es war Mjöllnir, der Hammer Thors – mit der Zange vom Amboss und warf es erneut in die Esse, in der die Holzkohle immer noch glühte. Während er noch hinsah, wandelte sich die Farbe des Hammers in
Weitere Kostenlose Bücher