freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
Zeit zu sterben. Das Schicksal – vielleicht auch der Met, den er getrunken hatte – war grausam genug zu ihm, ihn nicht das Bewusstsein verlieren zu lassen, und in den allerletzten Momenten, während er röchelnd an derWand hinabsank und mit angezogenen Knien und fast derselben Haltung wie gerade an seinem eigenen Blut ertrank, klärte sich sein Blick sogar noch einmal, und Thor sah ihm an, dass er vollkommen begriff, was mit ihm geschah.
Irgendwann starb er, und Thor wandte sich ab und sah den blutigen Fetzen Fleisch in seiner Hand an. Er sollte jetzt erschrocken sein oder doch wenigstens angewidert. Aber er fühlte immer noch nichts. Vielleicht ein ganz sachtes Erstaunen, dass es so leicht gewesen war, einen Menschen zu töten.
Er ließ seine grässliche Beute fallen und wandte den Kopf, als er Urds Schritte hinter sich hörte.
Mit noch immer vollkommen unbewegtem Gesicht sah sie eine ganze Weile auf den Toten hinab und nickte schließlich, wie um damit zum Ausdruck zu bringen, dass er es gut gemacht hatte. Aber das hatte er nicht.
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich hätte ihn nicht töten dürfen.«
»Nicht so schnell, meinst du?«
Thor schüttelte den Kopf. »Wir haben Lif noch nicht gefunden«, sagte er. »Er hätte uns vielleicht sagen können, wo er ist.«
»Er war nie hier«, antwortete Urd. »Sie waren zu fünft. Einen haben wir unten in der Halle erwischt, als er sich gerade hinausstehlen wollte. Er ist tot, aber zuvor hat er es uns noch verraten. Sie haben sich getrennt, kurz nachdem sie die Stadt verlassen haben. Zwei von ihnen sind mit Lif zur Küste geritten, um ihn von den Klippen zu stürzen. Fargas hat es ihnen befohlen … das ist hier wohl die übliche Methode, Verräter zu bestrafen.« Jetzt zeigte sich doch eine Regung auf ihrem Gesicht, ein kurzes, bitteres Lächeln, das ihm wie eine Narbe erschien, die ihrem Gesicht für alle Zeiten seine Schönheit nahm, nun, wo er es einmal gesehen hatte. »Ich glaube, Sverig und seine Begleiter sind ihren Spuren gefolgt. Wenn wir sie nicht eingeholt und aufgehalten hätten …«
Dann hätten sie die Männer vielleicht eingeholt, und Lif wäre jetzt wieder gefangen, aber auch noch am Leben.
Er wusste natürlich, dass das nicht stimmte. Der Weg zur Steilküste hinauf war nicht sehr weit, und die Männer hatten ihrZiel vermutlich schon erreicht, bevor Sverig und seine Reiter überhaupt aufgebrochen waren. Aber der Gedanke war da, und er würde ihn vielleicht nie im Leben wieder loswerden.
Er sagte auch dazu nichts.
Warum empfand er nicht wenigstens Zorn?
Der zweite Einherjer kam herein, wechselte ein paar geflüsterte Worte mit seinem Kameraden und ging wieder auf seinen Posten, während der andere sich mit gesenkter Stimme an Urd wandte. Er flüsterte nicht wirklich, aber Thor machte sich nicht die Mühe hinzuhören.
»Bjorn«, sagte Urd, noch immer mit derselben tonlosen Stimme. »Seine Männer und er. Sie kommen. Sverig ist auch bei ihnen. Es sind sehr viele. Mehr als fünfzig. Aber wenn wir uns beeilen, dann können wir ihnen noch entkommen.
»Entkommen«, wiederholte er. »Und wohin?
Urd schwieg, und Thor ging an ihr vorbei zu Elenia zurück. Behutsam ließ er sich neben ihr auf die Knie sinken und wickelte das tote Mädchen in die sauberste der besudelten Decken, auf denen sie lag. Trotz allem war er erstaunt, wie leicht sie war, als er sie auf die Arme hob und aufstand. Sie wog fast gar nichts, so als könne man das Fehlen des verlorenen Lebens spüren.
Urd sah ihn zwar fragend an, wich aber wortlos zur Seite, als er den Ausgang ansteuerte, und auch die beiden Einherjer folgten ihm in respektvollem Abstand.
Donner und das unablässige Zucken der Blitze beleuchteten ihren Weg, als sie die Treppe hinuntergingen, über die Galerie und schließlich durch die riesige Halle. Sturm und Gewitter hatten kein bisschen an Kraft verloren, als sie die Festung verließen, aber der strömende Regen hatte aufgehört und war zu einem nur noch leichten, wenn auch eisigem Nieseln geworden, und die Wolken jagten nur noch in grauen Fetzen über den Himmel. Es war endgültig Tag geworden, und Thor konnte gut genug sehen, um die mehr als fünfzig Krieger zu erkennen, die in raschem Tempo auf den Turm zusprengten. Urd hatte recht gehabt: Ihre Zeit hätte noch für die Flucht gereicht, und wenn diese Krieger so schnell geritten waren, wie er vermutete, dannmussten ihre Tiere ebenso erschöpft sein wie sie selbst. Wahrscheinlich könnten sie ihnen sogar
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