Freiflug (Die Ratte des Warlords II) (German Edition)
ihn herum. Er spürte es überall, sogar in seiner Wohnung.
Aber eines Morgens verspürte er verblüfft zum ersten Mal in seinem Leben das Bedürfnis zu wissen, warum er so empfand wie er es tat. Oma und Sarah waren nicht da. Daijiro und Marco würden ihn nicht verstehen. Es blieb nur einer, den Kepler fragen konnte. Er ging zum Polizeipräsidium und fragte nach Winker.
Der Beamte am Empfang sah ihn an, dann lächelte er.
"Sie sind derjenige, der im Vorbeigehen Verbrecher verprügelt und Pistolen zerlegt, richtig ? Moment."
Der Polizist verschwand im Büro, und Kepler hörte, wie er telefonierte.
"Also, der ist jetzt wahrscheinlich in der Uni", berichtete der Beamte, nachdem er zurück war. "Versuchen Sie es dort."
Kepler dankte und ging. Das war das Gute an seiner Wohnung, vieles konnte er zu Fuß erreichen. Obwohl Polizei und Uni selten auf dem Plan standen.
Etwa eine Stunde musste Kepler vor dem Sekretariat warten, bis Winkers Vorlesung zu Ende war. Dann wurde der Psychologe ausgerufen. Es verging noch eine Viertelstunde, bevor Winker auftauchte. Er sah Kepler vom Weiten und nickte ihm sofort freundlich zu.
" Hallo. Was kann ich für Sie tun?", fragte er, als er ihm die Hand drückte.
"Mir etwas Zeit opfern", bat Kepler . "Sie können im Gegenzug irgendeine empirische Untersuchung an mir durchführen."
"In Ordnung ." Winker lächelte. "Ich kläre noch etwas ab, dann können wir."
Der Psychologe brauchte eine halbe Stunde für seine Klärungen, danach gingen er und Kepler in die Mensa und bestellten Kaffee.
"Ich will Sie nicht belästigen, aber ich brauche einen Rat", begann Kepler. "Sie haben auf mich einen vernünftigen Eindruck gemacht, und Valentin sagte, Sie verstehen, wie die Welt funktioniert, und dass Sie sich für mich eingesetzt haben. Ich habe sonst niemanden."
Er stockte abwartend. Winker ermutigte ihn mit einem Nicken.
"Ich gehe wieder nach A frika."
"Kalte Füße?", erkundigte der Psychologe sich.
Kepler hatte wohl nicht so freudig geklungen, wie er die neuerliche Änderung in seinem Leben tatsächlich empfand.
"Nein", antwortete er. "Seit ich wieder in Deutschland bin, habe ich das Gefühl, vor dem Leben wegzulaufen. Ich spüre einfach nicht, dass ich lebe. In Afrika werde ich dieses Gefühl zurückbekommen, aber ich möchte wissen, warum ich jetzt keine Freude, nicht einmal Erleichterung fühle." Selbst überrascht sah er den Psychologen an, es war ihm jetzt erst klargeworden, die ganze Zeit zuvor war er diesen Gedanken ausgewichen. "Was stimmt mit mir denn nicht?", fragte er ratlos. "Irgendwas muss ich doch empfinden, oder?"
Winker trommelte mit den Fingern auf d er Tischplatte, während er nachdenklich in die Weite blickte.
"Können Sie gut schlafen ?", erkundigte er sich.
Kepler sah ihn überrascht an.
"Ja. Aber... Man hat mir gesagt, ich murmele mal was."
Winker nickte knapp.
"Was murmeln Sie?", wollte er wissen.
"Das konnte sie nicht auseinanderdividieren."
"Erzählen Sie, warum Sie murmeln könnten."
"Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung..."
"Na gut", seufzte Winker leicht ungehalten und formulierte die Frage um. "Erzählen Sie mal, wie Sie Afrika erlebt und was Sie dort getan haben."
Kepler umriss es in groben Zügen. Der Psychologe hörte ihm aufmerksam zu und dachte anschließend länger nach, bevor er bedächtig zu sprechen begann.
"Sie waren im Krieg . Ich kann mir diesen Alptraum nicht vorstellen, dabei habe ich auch viel Leid gesehen."
Es war keine leere Floskel, Kepler sah es in Winkers Augen.
"Polizisten, Feuerwehrleute, Sanitäter, sogar wir Psychologen werden b etreut, damit wir seelisch nicht zerbrechen", fuhr Winker fort. "Und dennoch haben wir alle daran zu knacksen. Sie dagegen hatten niemanden, mit dem Sie auch nur hätten sprechen können. Wie sind Sie damit fertig geworden?"
"Beim KSK hatten wir sehr gute Psychologen", antwortete Kepler. "Die haben uns viel beigebracht, das hat geholfen."
" In Ihren Einsätzen davor, nehme ich an. Aber wie war es im Sudan?"
"Ich habe für mich festgelegt, wann ich schieße und wann nicht."
"So, Sie haben für sich entschieden was gut und was schlecht ist", resümierte Winker. "Sie glauben an etwas, das gibt Ihnen Kraft..." Er stockte und runzelte die Stirn. "Wann wurde bei Ihnen die Indolenz festgestellt?"
"Mit zwölf ."
"Wie waren Sie davor, wissen Sie das?"
"Ich erinnere mich nicht daran, aber Oma sagte mal, dass ich bis zum Tod meiner Eltern ein fröhliches Kind gewesen bin."
"Sie haben Ihre E ltern
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