Freiflug (Die Ratte des Warlords II) (German Edition)
spüren, dass er lebte und nicht nur vor sich hin existierte. Sie konnten miteinander reden. Melissa war clever und hatte zu allem eine Meinung. Mal stimmte sie mit der von Kepler überein, mal gar nicht. Dann führten sie hitzige Wortgefechte. Nur über Afrika sprachen sie nie, sie beide mieden dieses Thema. Wenn sich ihre Gespräche erschöpften, gingen sie aus.
Danach hatten sie Sex. Kepler zwang sich dabei, alles andere zu vergessen und dann spürte er die Leere in seinem Inneren nicht. Er verlor sich in einer Entrückung, die nichts mit der Realität zu tun hatte. Dafür konnte er die nächste Woche lang in der richtigen Welt weitermachen ohne durchzudrehen.
Aber j edes Mal wenn Kepler Melissa verließ, fühlte er sich leer und ausgebrannt, so wie damals, als er aus dem Fenster von Abudis Büro sprang. Er fühlte sich nicht einfach nur allein, sondern einsam. Und je mehr er sich so fühlte, umso heftiger war seine Wiedersehensfreude beim nächsten Mal. Heftiger und kürzer, und sie äußerte sich immer mehr nur im körperlichen Verlangen. Außerhalb des Bettes hielt er es mit Melissa mehr als zwei Tage nicht aus.
Sie waren Freunde, aber nicht richtig. Sie waren mehr als Freunde, aber auch das nicht richtig. Sie mochten einander wirklich, und das erleichterte Kepler das Leben. Vielleicht empfand er auch eine Art Liebe für Melissa, aber diese Empfindung trug ihn nicht, sondern verzehrte ihn.
Kepler suchte etwas, das ihn beruhigte , oder ihn herausforderte, ohne sich auch nur im Geringsten klar darüber zu sein, was es sein könnte. Es gab nicht viele Dinge, die das vermochten. Er versuchte es bei Schützenvereinen.
Bei einem gefiel ihm der Schießstand, weil nur der Schützenstand überdacht war und die Zi ele draußen angebracht wurden, es war nicht so steril wie eine Halle. Aber Sportschießen war nichts für ihn, schon allein deswegen, weil man nur fünf Patronen laden durfte. Und die ganzen Hilfsmittel wie Augenklappen und Handstützen kamen ihm hirnverbrannt vor, noch mehr, dass man das Zielen für einen einzigen Schuss zwei Minuten lang zelebrierte. Er wollte schon gehen, aber dann bat er um eine Waffe. Der Mann, der ihm die Einrichtung gezeigt hatte, gab ihm seine SigSauer.
Einige Sekunden lang sah Kepler die Pistole und die matt glänzenden Patronen im Magazin an. Mit einer automatischen Bewegung schob er das Magazin in den Griff rein. Er lud die Waffe durch und hob sie mit beiden Händen hoch.
Das Geräusch des Magazins beim Einführen und das des Verschlusses beim Durchladen, das Gewicht der Waffe in seinen Händen, die Augen, die autom atisch nach einem Ziel suchten, das war ihm so vertraut wie der eigene Körper, vertrauter als alles andere. Er visierte die Scheibe in fünfzehn Metern Entfernung an und feuerte. Das Peitschen der Schüsse, der Rückstoß, die Mündungsflammen waren fast eine Befreiung. Aber es waren nur fünf Patronen gewesen.
Er hatte trotzdem alle fünf Schuss genau in der Zehn platziert. Der Mann, der ihm die Pistole ausgeliehen hatte, glotzte ihn einfältig an. Dann wollte er etwas sagen, aber Kepler unterbrach ihn mit einer Handbewegung. Er warf das Magazin heraus, nahm nur eine Patrone aus der Schachtel und steckte sie in die Kammer. Dann drückte er auf den Schlittenhalter. Der Verschluss schnellte zu und spannte die Waffe. Kepler riss sie hoch und schoss.
Für einen Moment sah er nicht das kleine Loch in der Zehn. Sondern den glitzernden blauen Himmel, die weite Savanne und den Baobab, er spürte die heiße Sonne Afrikas auf der Haut und Katrin neben sich.
Die Erinnerung verhallte mit dem Echo des Schusses. Die Sehnsucht bli eb.
12. Trotz eindringlicher Bitten der Sportschützen, er möge in ihren Sportverein eintreten, ging Kepler nie wieder hin.
Aber o hne eine Beschäftigung hatte er es noch nie lange ausgehalten. Nachdem er Bremen zugenüge ausgekundschaftet hatte, dachte er über seinen Lebenswandel kritisch nach. Seine Wohnung lag nah am Hauptbahnhof, am südöstlichen Ende des Bürgerparks, sodass er mehrere Strecken für seine morgendlichen Läufe hatte. Aber seit er in Bremen lebte, hatte er überhaupt nicht mehr den Nahkampf geübt oder auch nur ein paar Kung-Fu-Übungen gemacht.
Kepler hielt sich nicht einmal beim Gedanken auf, in ein Sports studio zu gehen. Der Kellerraum, der zu seiner Wohnung gehörte, war nur unwesentlich kleiner als das Wohnzimmer. Aus irgendeinem unverständlichen Grund spöttisch vor sich hingrinsend, kleidete Kepler den Boden
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