Freiflug (Die Ratte des Warlords II) (German Edition)
sich eingeschnappt an. Kepler war zuerst überrascht, dann begriff er, dass ihr Unmut daraus resultierte, dass es ihm fast gleichgültig war, ob sie je wieder angerufen hätte. Über den Anruf freute er sich trotzdem wirklich. Melissa hörte es.
Sie klang noch leicht verschnupft, erklärte jedoch, es würde ihr schon wieder besser gehen, allerdings fehle der letzte Schliff zur Besserung. Danach fragte sie, ob Kepler wieder Lust hätte, sie zu heilen. Es war möglicherweise indirekt ein Eingeständnis, dass die Suppe geholfen hatte, aber Kepler verspürte keine Freude darüber, sondern einen Stich. Melissa entschuldigte sich für den unbedachten Satz. Kepler antwortete, sie brauche sich nicht zu entschuldigen, weil auch diese Erinnerung an Oma gut war. Wie eigentlich jede einzelne.
Kepler legte auf, ging in die Tiefgarage, weckte den Audi aus dem Tiefschlaf und fuhr los. Hühnersuppe hatte er dieses Mal nicht dabei, aber Echinazeatable tten brachte er mit. Melissa verspeiste die Dinger ohne Widerrede, aber mit einem derart verzogenen Gesicht, dass Kepler sie vor den Spiegel zerrte, damit sie sich selbst dabei sah. Sie mussten beide lachen.
A ls Kepler am nächsten Abend nach Hause fuhr, klingelte sein Handy. Es war Sarah. In sehr schnellen und abgehackten Sätzen bat sie Kepler, umgehend zu kommen. Ihm gefielen weder Sarahs Stimme, noch ihr Ton. Er fragte, ob etwas passiert sei. Sarah bejahte und bat ihn, Jens nichts über dieses Gespräch zu sagen, schnell zu kommen, und vor allem allein.
Kepler fuhr mit einem mehr als schlechten Gefühl weiter. Soweit er sich eri nnern konnte, hatten sich Sarah und Jens nur zwei Mal in all den Jahren gestritten, aber beide Male hatten sie sich getrennt und nur schwer wieder zueinander gefunden. Der Umzug in ein anderes Land war Stress pur, und Kepler vermutete, dass Sarahs Problem nur darauf beruhte. Er war erleichtert darüber, so etwas war bei weitem nicht so schlimm wie Omas Tod. Er erinnerte sich sogar daran, dass sein Neffe bald Geburtstag hatte. Er war sich aber nicht sicher, ob er zu dem Zeitpunkt seine Familie schon besuchen sollte, und beschloss, Robert jetzt schon ein Geschenk zu machen.
D er Kleine hatte eigentlich alles, beziehungsweise, er könnte alles haben, seine Eltern hatten genug Geld. Aber Kepler hatte bei seinen Streifzügen durch Bremen eine Konditorei gesehen, die wahre Kunstwerke zauberte, und grinste bei der Vorfreude auf Roberts Gesicht, und die seiner Eltern auch. Er fuhr zu der Konditorei und bestellte eine riesige Torte in Form eines Schiffes.
Am nächsten Morgen fuhr Kepler zur Konditorei und holte die Torte ab. Wegen der kurzen Frist kostete ihn das Prachtstück das Doppelte dessen, was eine Sonderbestellung sonst kostete, aber das war ihm egal.
Knapp drei Stunden später parkte er vor Omas Haus. Ihm fiel auf, dass der Garten ungepflegt war, aber er hielt sich nicht damit auf, darüber nachzudenken.
Sein Neffe schlief noch – oder schon wieder – den Schlaf der Gerechten. Sarah bekam riesige Augen beim Anblick des Mitbringsels und lächelte. Kepler sah seine Schwägerin genau an. Sarah sah abgezehrt aus, ihr Gesicht trug einen furchtsamen Ausdruck. Die Freude verschwand fast sofort aus ihren Augen.
Plötzlich klingelte ihr Handy. Auf Sarahs Gesicht machte sich sofort der Ausdruck tiefster Verzweiflung breit. Sie sah gehetzt und angsterfüllt auf das Handy und drückte es krampfhaft aus. Es klingelte gleich wieder und dann ertönte draußen eine laute Hupe, was Sarah zusammenzucken ließ. Kepler dämmerte, dass die Rollladen nicht wegen Robert unten waren.
Er wollte seine Schwägerin sofort zur Rede stellen, aber in diesem Moment hörten sie ein Wimmern aus dem Schlafzimmer. Sarah stürmte dahin. Zurück kam sie mit ihrem Sohn auf dem Arm und sichtlich erleichtert. Keplers Neffe rieb sich verschlafen mit den Fäustchen die verklebten Augen, dann beäugte er seinen Onkel misstrauisch. Anschließend vergrub er sein Gesicht an Sarahs Hals und sie drückte ihn schü tzend an sich.
Die Torte wurde Bob erst nach dem Frühstück gezeigt, damit er überhaupt etwas anderes aß, bevor er sich auf den ganzen Zucker stürzte. Er war sichtlich begeistert und verharrte sogar kurz in ehrfürchtigem Staunen vor dem grandiosen Backwerk, bevor er gnadenlos die Schokoladentakelage zerstörte. Kepler und Sarah halfen ihm allerdings nach Kräften, nach der Orgie war nur noch das Heck des Schiffes übrig. Prall gefüllt, schlief Bob prompt wieder ein.
Kepler
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