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Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse Auth
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Hatice.
    Göbekleri beraber kesilmiş - unsere Nabelschnüre sind gleichzeitig durchgeschnitten worden: Bei uns zu Hause ist das eine Redensart wie in Deutschland der Satz »Sie sind ein Herz und eine Seele«. Bei uns beiden aber ist das wortwörtlich so . Jetzt, da ich nicht mehr am Existenzminimum krebste, da mein Innenleben einen Zustand zuvor ungekannter Entspannung
erreicht hatte, jetzt wurde mir endlich auch bewusst, dass ich mich aus tiefstem Herzen nach meiner Zwillingsschwester sehnte.
    Große Gefühle sind immer einfach. Sie sind immer klar. Aber sie kommen selten allein. Wie blendende Kometen erleuchten sie unsere sonst im Halbdunkel liegende Innenwelt. Und sie ziehen einen Schweif kleinerer Gefühle nach sich, von ihrem eigenen Stoff abgeschieden, vielleicht schon sterbend, aber von so bestechender Faszination, dass man sich damit fast mehr beschäftigt als mit der Quelle, die ihnen zu ihrer flüchtigen Pracht verhilft.
    Ich steigerte mich unversehens in eine Art schwelgerischen Rausch naiver Idealisierung all dessen, wovor ich doch mit dem Mut der Verzweiflung geflohen war:
    Wie gern würde ich mit meinem Sohn die türkischen Feste meiner Kindheit feiern: Ramadan! Das Opferfest! Das Beschneidungsfest! All die wunderbaren Geburtstage und die vielen anderen Gelegenheiten, bei denen Menschen eines Blutes zusammenkommen, gemeinsam trinken, essen und lachen … In Cenks Adern fließt doch türkisches Blut! Ist es nicht meine Pflicht, ihn mit den Traditionen seiner Vorfahren bekannt zu machen? Er hat seine Cousins und Cousinen noch nie im Leben gesehen. Ist es nicht beschämend für mich, dass er sich auf Deutsch mit ihnen unterhalten müsste?
    Es war eine richtige kleine Orgie der Nostalgie. Aber ich verlor mich nicht mehr voll und ganz darin. Okay, irgendwie steckte ich bis zur Halskrause in starken Gefühlen, die ich vor nicht allzu langer Zeit als morbid, ja selbstzerstörerisch verurteilt hätte. Aber war all das nicht auch ein Teil
von mir? Sulu gözlü olmak - ich habe wässrige Augen , oder, wie man in Deutschland sagt: Ich bin nahe am Wasser gebaut. Doch war da nicht noch etwas anderes? Ja, wirklich, da war noch etwas, und es lag so deutlich auf der Hand und war doch bisher unsichtbar für mich. Nun aber erkannte ich es in aller Klarheit, zum ersten Mal in meinem immer noch jungen Leben, und ich ahnte, dass es mich wohl bis ans Ende meiner Tage begleiten würde:
    Ich bin ein Kind zweier Welten.
    Unsere wichtigsten Charakterzüge bleiben uns sehr lange verborgen. Wenn wir sie überhaupt entdecken, dann am ehesten mithilfe anderer Menschen, die sie natürlich viel deutlicher sehen. Das führt dann manchmal zu komischen Situationen. So erging es mir auch hinsichtlich meiner ausgeprägten Tendenz, mich zwischen Extremen hin und her zu bewegen. Einige Jahre später betrieb ich dann zusammen mit meiner Schwester einen Salon in der Frankfurter Freßgass, im Schatten der Bankentürme. Eine Kundin aus der Brokerszene, eine smarte Frau, mit der ich mich gut verstand, überraschte mich eines Tages mit einem lustigen Statement:
    »Ayşe, deine Psyche ist so volatil wie der Kurs eines Optionsscheins auf hundert Prozent reines Gefühl.«
    Ich war so perplex, dass ich schallend lachen musste. Beinahe hätte ich ihr eine derbe Stufe in ihre spektakuläre Kurzhaarfrisur geschnitten.
    Heute kann ich mich dazu bekennen: Ich bin nicht nur ein hundertprozentiger Gefühlsmensch, ich habe dazu auch noch die Extreme der menschlichen Gefühlsskala gepachtet.
Zurück nach Darmstadt. Vor nun schon zehn Jahren war der Kontakt zu meiner Familie komplett abgerissen … Und mit jedem weiteren Tag wurde ich deshalb trauriger.
    Georg verstand mich. Wer mit den eigenen Eltern so innig verbunden ist, wie er es war, kann sich wohl gar nicht vorstellen, dass man seine Herkunftsfamilie überhaupt so lange entbehren kann. Außerdem hätte er meinen Vater und meine Mutter gern kennengelernt. Was er von mir über sie gehört hatte, stieß ihn nicht etwa ab, sondern machte sie für ihn offenbar noch interessanter. Er versuchte sogar, mich zu einer Kontaktaufnahme zu bewegen.
    »Du weißt doch gar nicht, wie sie heute zu dir stehen. Vielleicht ist inzwischen alles ganz anders.«
    Aber Ayşe ist stolz, und ja, in bestimmten Fällen auch nachtragend:
    »Wenn überhaupt, dann müssen sie auf mich zukommen!«
    Natürlich hoffte ich inständig, dass sie das tun würden, aber es blieb ein Traum. Inzwischen hielten Hatice und Cavidan mich über alles

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