Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
Also entschlossen wir uns, von jetzt an demonstrativ stets dieselbe Frisur zu tragen. Wenn eine von uns ihre Haarfarbe oder den Schnitt änderte, zog die andere sofort nach. Bald fanden wir unser gemeinsames Markenzeichen: pechschwarzes Haar und ein
kinnlanger Bob mit Pony. Und siehe da, unsere »Cleopatrafrisur« wurde zum lokalen Modekult. Wir fühlten uns toll damit, zumal es eine Menge Spaß brachte, dass uns nun kaum noch jemand auseinanderhalten konnte.
»Genau wie früher in der Schule!«
Erfolg ist süß
Frankfurt, im Jahr 1996
J etzt holen wir uns die Colour Trophy «, entfährt es mir. Ich sitze in der Teeküche des Salons, unserem Sozialraum, und blättere in einer Fachzeitschrift. Da bin ich bei dieser Ausschreibung hängengeblieben. L’Oréal , der internationale Kosmetikkonzern, vergibt seine begehrte Auszeichnung dieses Jahr erstmals auch in Deutschland. Bisher fand der bedeutendste Wettbewerb unserer Branche immer nur in London und Paris statt.
»Ganz klar, schaffen wir. Ist ja nur der Oscar für Friseure.«
Unser jüngster Lehrling ist wahrlich nicht auf den Mund gefallen!
Sitzt ganz entspannt beim Frühstück und lässt mal eben so durchblicken, was er von seiner Chefin hält: Jetzt dreht sie endgültig durch.
Wenn mir jemand klarmachen will, dass er mich für verrückt hält, fordert mich das nur dazu heraus, noch eins draufzusetzen. Scheinbar gleichgültig blättere ich um und gebe lässig zurück:
»Eben, eine unserer leichtesten Übungen. Und wenn wir gewonnen haben, darfst du ihn als Erster küssen.«
Hinter meiner Stirn, da arbeitet es bereits. Vorerst werde ich so tun, als ob mich das Thema weniger interessiert als
der Wetterbericht. In Wahrheit aber bin ich wie elektrisiert davon. Dieser Preis ist eine Riesensache. Nicht, weil er hochdotiert wäre, sondern wegen des Imagegewinns.
Jedes teilnehmende Team soll ein Model von Kopf bis Fuß durchstylen. Haare, Make-up, Mode - mit einem Wort: Ihr Typ muss herausgearbeitet, ihre Aura zum Leuchten gebracht werden. Das kommt unserem eigenen Konzept doch sehr entgegen. Warum also sollten wir es nicht versuchen?
Zwischendurch wird mir aber doch etwas mulmig. Ist das wirklich unsere Kragenweite? Da wird die Crème de la Crème der ganzen Zunft am Start sein. Was wäre, wenn wir abgeschlagen auf den hinteren Plätzen enden? Würde unser Geschäft nicht Schaden nehmen?
Schon komisch. Wenn ich besonders hoch hinaus will, fällt mir manchmal etwas ein, was mit meinen tiefsten Wurzeln zu tun hat. Ich muss auf einmal an eine Begebenheit aus meiner Kindheit denken.
Babanne hat mich auf dem Spielplatz im Park ausfindig gemacht. Eigentlich sollte ich in der Schule sein. Auweia, jetzt kommt die übliche Gardinenpredigt. Aber heute ist meine Großmutter ganz anders. Sie lächelt! Kommt auf mich zu und streckt ihre Hand aus. Überraschend freundlich, aber in ernstem Ton sagt sie zu mir:
»Her telden çalma, bir şeyi rayina oturtmak - wer auf allen Saiten spielen will, muss zuvor seinem Leben eine Melodie geben.«
Das verstehe ich in diesem Moment überhaupt noch nicht, aber Omas ausgestreckte Hand ist sehr einladend. Ich
ergreife sie, und wir gehen zusammen in Richtung Schule. Weise Frau und freche Göre, Letztere auf einmal sehr nachdenklich.
Hier sitze ich nun. Frankfurt, im Jahr 1996, Teeküche im HaarWerk . Ich blicke durch die geöffnete Tür in den Salon. Sehe emsige Hände, höre das Klick-Klick der Scheren, die Gespräche zwischen Mitarbeitern und Kunden. Ich spüre in diese Energie hinein und habe auf einmal das Gefühl, endlich wieder voll und ganz bei mir selbst anzukommen.
Diesen Moment angemessen zu beschreiben ist eigentlich unmöglich. Ich kann nur sagen: Ganzkörper-Gänsehaut. Ja, ich spüre es mit allen Fasern meines Seins:
Die Energie ist wieder da!
Nicht irgendeine Energie, sondern die Energie. Eine Kraft, die dir eine feste Zuversicht einpflanzt, dass dir die Welt offensteht. Die dich so stark macht, dass du ein Gefühl hast, als ob du Bäume ausreißen könntest. Die dich aber auch ganz weich und empfänglich werden lässt für etwas, das viel feiner ist als all unser Wollen und Streben. Etwas, das uns von allein zuströmt, aber nur, wenn wir dafür bereit sind. So mächtig und durchlässig zugleich wie eine große Welle, die unaufhaltsam auf den Strand zurollt. Ich bekomme unbändige Lust, diese Welle zu reiten!
Ja, jetzt ist es an der Zeit, auf allen Saiten zu spielen! Ob wir gewinnen oder den letzten
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