Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
geht es an den Schnitt! Ich habe mich zuvor für einen kinnlangen Bob entschieden. Alles läuft glatt und gut - fast zu gut für meinen Geschmack. Hier stehe ich, auf dem bisherigen Höhepunkt meiner Karriere, und liefere einen Act ab, der aus lauter Routine besteht?
Unmöglich, das bin nicht ich!
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was in diesem Moment mit mir passiert, aber es kommt ganz tief aus meinem Inneren. Meine Hände beginnen wie von selbst in Richtung eines ganz anderen Ergebnisses zu schneiden. Anja erhält einen Pony! Ein Raunen geht durch den Saal. Die Jurymitglieder
machen große Augen. Ponys sind doch derzeit völlig out! Keines der anderen 29 Models hat Stirnfransen geschnitten bekommen …
Na und, dann kreieren wir eben einen neuen Trend! Pony ist ab jetzt wieder angesagt!
Anja, die blonde Cleopatra!
Wie schrecklich sind die Momente der Untätigkeit, die man in dem Wissen verbringt, dass gleich etwas geschehen wird, was für einen unendlich wichtig ist. Das ist einfach nichts für mich. Ich reagiere dann entweder mit flattriger Gereiztheit, oder ich stumpfe ab. Nach einer der längsten Stunden meines Lebens wird endlich zur Preisverleihung aufgerufen. Mir ist mittlerweile alles egal. Hauptsache, die ganze Sache ist bald vorbei.
Himmel, das Warten geht noch weiter! Schon so viele Preise verliehen, und wir sind nicht dabei. Hati und ich schauen uns an. Das bedeutet entweder etwas sehr Schlechtes oder etwas sehr Gutes: Entweder gehen wir ganz leer aus, oder … Mit klopfendem Herzen verfolgen wir die Parade der Sieger. Mein Mund ist trocken, ich zittere am ganzen Körper. Und dann noch stillsitzen! Wohin bloß mit meinen Händen?
»Au!«
Das war Hati. Mir war gar nicht bewusst, dass ich vor lauter Aufregung ihren Arm mit ganzer Kraft gedrückt habe. Die Zeremonie zieht sich hin wie Kaugummi. Unser Name ist immer noch nicht genannt worden. Aber jetzt kommen die drei Hauptgewinne. Der dritte Preis. Wieder nichts. Zweiter Preis: Immer noch nichts …
Oh, ihr Mysterien der gemischten Gefühle! Ihr, meine seelische Qualverwandtschaft! Wen das Leben so hin und her geworfen hat wie mich, der blickt doch immer wieder dem emotionalen Mischwesen in sich selbst ins Gesicht. Verzweiflung und Hoffnung, Euphorie und Depression, Erlösung von großer Last und innere Leere … Tränen und Champagner. Würde es heute endlich einmal nur Champagner sein?
Da oben auf der Bühne gibt der Moderator sein Allerbestes. Mit gedehnt-pathetischer Stimme, wie ein Stadionsprecher, kommt er langsam zum Höhepunkt.
»Uuund nun … und nuuun … zum ersten Preis.«
Die Spannung steigt ins Unerträgliche … Dieser eine Moment kommt mir vor wie eine Ewigkeit.
»Eigentlich könnten sie ja Drillinge sein, weil sie alle die gleiche Frisur haben …«
Mir wird schwarz vor Augen. Schwindel ergreift mich. Es ist der Schrei eines unserer Mitarbeiter, der mich wieder zurückholt. Er hat als Erster verstanden, was jetzt kommen wird. Ist nicht mehr zu halten, stürmt zur Bühne.
Der Moderator setzt nochmals an.
»Wir rufen auf: HaarWerk !«
Jubel, Klatschen, Geschrei, der Saal tobt. Wir sind einfach nur fassungslos. Überwältigt. Wir haben den Preis! Tatsächlich! Wir haben gewonnen! Nun werden wir auf die Bühne gebeten, um die Trophäe in Empfang zu nehmen. Standing Ovations im Publikum. Dieser Award ist wirklich ein Monstrum - fast einen Meter hoch. Wir nehmen ihn unter Freudentränen entgegen. Die Colour Trophy.
Die folgenden Stunden erlebe ich wie im Rausch. Wir sind die Nummer eins! Was für ein Gefühl! In dieser Nacht strömt der Champagner. Die Freude, die Tränen - heute macht es keinen Unterschied.
Was für ein Gefühl, eine Siegerin zu sein …
Nicht dass sich unser Leben auf einen Schlag verändert hätte. Aber ein vorübergehender Ausnahmezustand tritt schon ein. Das Telefon steht tagelang nicht mehr still, weil anscheinend die halbe Welt gratulieren muss. Eine Friseurfachzeitschrift will unbedingt ein Interview. Die Frankfurter Lokalpresse berichtet über die »Power-Twins«. Und im Handumdrehen sind wir auf Wochen ausgebucht.
Auch ein paar Neider geben sich die Ehre. Ebenfalls eine ganz neue Erfahrung! Im ersten Moment fühlt man sich verletzt, aber dann sagt man sich: Es gehört wohl einfach mit dazu. Wir beschließen, uns die Freude und den Stolz nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Einfach ganz normal weiterarbeiten. Aber abends sitzen wir in diesen Tagen immer beisammen, lassen die Erfahrungen des
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