Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse Auth
Vom Netzwerk:
klagend zum Himmel empor, das Gesicht verzerrt vor Entsetzen.
    Wie hatte man Großvater zugerichtet! Ich habe es noch in allen Einzelheiten in Erinnerung, aber die mir anerzogene Pietät verbietet es, das unfassbar Furchtbare zu beschreiben. Welche Raserei, welcher Hass muss hier im Spiel gewesen sein! Vor Schreck erstarrt, ohne Worte und Tränen, unfähig, die Blicke abzuwenden, stehen wir da. Wie festgefroren, irgendwie selbst innerlich wie tot.
    Noch sehr lange waren wir fassungslos ob dieser brutalen Tat. Wer nur konnte so etwas tun? Opa Ali war doch ein so gutmütiger Mensch. Nie hatten wir aus seinem Munde auch nur ein einziges böses Wort gehört. Er hat so gern mit uns gespielt. Und konnte keiner Fliege etwas zuleide tun!
    Nun, es begann als unnötiger Streit, wurde ungewollt zur blutigen Tragödie und dann zu einem doppelten Rachefeldzug mit tödlichem Ausgang. Ein blindwütiges Spiel archaischer Kräfte, weil niemand die Größe besaß, über die ihm zugedachte Rolle hinauszuwachsen. Und einfach nur eines zu sein: Mensch. Ein Mensch, der verzeiht, statt an der Spirale der Gewalt mitzudrehen.
    Opa Ali, der Gatte Arifes der Großen, machte mitunter das, wozu wohl jeder Mann versucht ist, der sich zu Hause unterordnen muss: Er spielte nach außen gern ein bisschen den großen Mann. Hoch zu Ross begab er sich jeden Tag, selbst nicht weniger geschniegelt und gestriegelt als sein schöner Brauner, auf Inspektion der mittlerweile verpachteten Ländereien der Familie. Immer mit geschultertem
Gewehr, nach alter Väter Sitte. Vor einiger Zeit nun hatte Ali den Familienbesitz nochmals vermehrt, indem er vom Staat für wenig Geld ein paar Felder erworben hatte. Darauf muss er besonders stolz gewesen sein, da weitaus das meiste Land ererbt war und er selbst ja in die Familie eingeheiratet hatte. Damit will ich sein Verhalten keineswegs entschuldigen, sondern nur eine mögliche Erklärung dafür anbieten, warum er sich später so stur verhielt. Möglicherweise hatte er etwas ganz Besonderes mit diesem Stück Land vor, um damit allen zu beweisen, was für ein tüchtiger Mann er doch war.
    Dabei standen ihm aber die Leute im Wege, die das Land bisher bewirtschaftet hatten. Es war eine eher arme Familie. Mein Opa hat wohl geglaubt, sie würden widerstandslos die neue Situation hinnehmen. Das aber war eine Fehleinschätzung. Vielmehr fühlten diese Menschen sich berechtigt, das Land weiterhin zu bebauen. Mein Opa, der das anders sah, forderte sie bei seinen Kontrollritten wiederholt auf, sich zurückzuziehen. Vergeblich. Wenn auch arm, war dies doch eine ebenso stolze Sippe wie die unsere. Selbstbewusst hielten sie ihm stets entgegen:
    »Du musst uns erst beweisen, dass dieses Land jetzt dir gehört. Wo ist denn dein Grundstücksschein? Zeig uns die Papiere!«
    Damit haben sie Opa Ali wohl auf dem falschen Fuß erwischt. Trockene Verwaltungstätigkeit war in der Tat nicht seine Stärke. Er ritt eben lieber aus - oder spielte mit uns, wenn er nicht im Kahwe saß. Nur nebenbei sei erwähnt, dass die Langsamkeit der türkischen Behörden mindestens so sprichwörtlich ist wie die der deutschen.
Auf alle Fälle hatte Opa den Schein längere Zeit nicht vorliegen. Und als das Dokument dann endlich eintrudelte, war er schon tot. Im Prozess wurde der Tathergang wie folgt rekonstruiert:
    Ali erscheint zu Pferde am bewussten Ort, trifft auf die bisherigen Pächter und erhebt, bereits in erregtem Zustand, erneut seine Forderung:
    »Das Land gehört jetzt mir, ich verbiete euch, es zu betreten.«
    Die Angesprochenen jedoch leisten der Aufforderung wieder keine Folge. Ihr Anführer hält dagegen:
    »Es ist unser Land, seit Generationen leben wir davon, und wir lassen es uns nicht wegnehmen.«
    Mein Großvater wiederholt zum x-ten Male:
    »Ich habe es gekauft und bezahlt.«
    Worauf erneut entgegnet wird:
    »Du hast ja nicht einmal einen Grundstücksschein. Außerdem - wovon sollen wir dann leben? Wir sind arme Leute. Du raubst uns unsere Existenz!«
    So geht es immer weiter.
    »Wenn ihr mein Feld nicht auf der Stelle räumt, gehe ich zur Gendarmerie!«
    »Wir bleiben hier. Und jetzt verlässt du diesen Platz, und zwar sofort.«
    Die Erregung auf beiden Seiten steigt. Eine Entladung der Gewalt liegt in der Luft. Die schreiende Menge umringt Großvater, das Pferd beginnt zu scheuen.
    Da löst sich ein Schuss aus Alis Gewehr. Wie, warum und in welcher Absicht - wer will es wissen? Ich jedenfalls kann mir nicht vorstellen, dass mein Großvater

Weitere Kostenlose Bücher