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Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse Auth
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Garten wächst nur noch Unkraut, und alles Gemüse geht kaputt. Die Leute bringen uns zwar Unmengen zu futtern mit, aber das ist alles kalt. Und ich hätte so gern mal wieder was Warmes auf dem Teller.«
    Der Sympathie Leylas konnte ich mir sicher sein, doch ihr Vater schien anders darüber zu denken. Er muss unserer Unterhaltung gelauscht haben, denn plötzlich stand er vor uns und ergriff das Wort, um eine Lanze für Babanne zu brechen.
    »Ach, Kind! Du begreifst offenbar nicht, was für eine heilige Arbeit deine Großmutter tut. Für alle Menschen hier ist sie etwas ganz Besonderes. Ich möchte fast sagen, sie ist so etwas wie eine Prophetin Allahs! Auch wenn du das noch nicht ganz verstehst, solltest du stolz auf sie sein und dich fügen. Und verhungern wirst du schon nicht!«

    Damals schüchterte mich das sehr ein. Heute weiß ich: Es ging dem Schlawiner natürlich nicht um die Förderung der Volksfrömmigkeit, sondern um die Umsatzsteigerung in seinem Kahwe , für ihn ein schöner Nebeneffekt des Erfolges unserer Oma.
    Es war unsere Einschulung, die einer Überhitzung der Konjunktur sowohl im Kahwe als auch in Sachen Geistheilung den Riegel vorschob. Womöglich hätte sonst irgendwann der Hotscha die Notbremse gezogen. Zwar bietet der Islam, etwa im Vergleich zum Christentum, Mystikern und anderen Abweichlern seit je relativ große Freiräume, sofern sie bekennen, dass es nur einen Gott gibt, nämlich Allah, und dass Muhammad sein Prophet ist. Aber dennoch: Einmal hat die Geduld ein Ende, und es wären Mittel und Wege gefunden worden, um Arifes Charisma nicht allzu groß werden zu lassen.
    Sobald wir schulpflichtig waren, konzentrierte sie ihre Sprechstunden auf den Vormittag. Sie trennte die zwei Welten, zwischen denen sie sich bewegte, von nun an sorgfältig: hier, im Diesseits, die Familie, und dort, offenbar im Jenseits, ihre Tätigkeit für die Öffentlichkeit. So markierte der Beginn des Schulbesuchs für uns auch die Rückkehr unserer Oma in unser tägliches Leben. Was uns letztlich nur guttat, denn schließlich war sie unsere einzige Bezugsperson. Wenn wir um die Mittagszeit aus der Schule kamen, waren die meisten ihrer Klienten jetzt schon wieder fort. Essen gab es erst, wenn der letzte gegangen war - dann allerdings reichlich.
    Im Übrigen macht auch eine professionelle Mittlerin zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt emotionale
Höhen und Tiefen durch. Ich muss etwa zehn Jahre alt gewesen sein, als ich das einmal so richtig mitbekam. Auch dies war ein Ereignis, dessen Bedeutung ich als Kind nicht zu erfassen vermochte, das mir aber später umso mehr über das Selbstverständnis meiner Großmutter verriet. Und über das Beten.
    Ich war beim Hausaufgabenmachen in der Laube, als Arife aus dem Haus trat. Sie hatte gerade den letzten Bittsteller verabschiedet und war sichtlich erschöpft. Ein langer Arbeitstag lag hinter ihr, denn in Deutschland standen die Sommerferien vor der Tür. Da hatte sie dann immer besonders viel zu tun. Warum, sollte mir jetzt gleich klar werden.
    » Gencil beleşçiler - ihr raffgierigen Mitesser! Ich bin doch nicht nur dafür da, dass eure Verwandten euch aus Almanya wertvolle Geschenke mitbringen!«
    Als »Mitesser« pflegte sie Menschen zu bezeichnen, die sich rücksichtslos und egoistisch verhielten. So aber hatte ich mir das fromme Beten in unserem Schlafzimmer nun nicht vorgestellt! Und jetzt sah sie mich. Sah mich mit diesem seltsamen Blick an, der nichts zu fixieren schien und der einem durch und durch ging. Dann lächelte sie. Ich habe sie selten lächeln sehen, wenn sie sich mir zuwandte, und erinnere mich daher an jede Einzelheit.
    »Ayşe, mein Kind …«
    Wie bitte? So hatte sie mich noch nie genannt. Doch damit nicht genug. Sie setzte sich zu mir. Nicht wie meine unnahbare Erziehungsberechtigte, sondern so, wie sich ein Mensch zu einem anderen setzt. Dies war ein ganz besonderer Moment. Und es hatte erst begonnen.

    »Ayşe, mein Kind. Ich verrate dir jetzt einmal etwas über das Beten.«
    Nun, das war ja wohl nichts Neues. Wir beteten jeden Tag mit ihr, und das nicht nur einmal: morgens vor dem Frühstück und bevor wir uns auf den Schulweg machten, abends vor dem Essen und noch mal beim Schlafengehen. Nicht zu rechnen die besonderen Gebete an religiösen Feiertagen. Sie selbst betete natürlich mindestens weitere fünf Mal am Tag, wie es sich für eine gläubige Muslima gehörte. Was also wollte sie mir jetzt über das Beten verraten?
    »Ayşe, ich

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