Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Familienschatzes aus Fleisch und Blut.
    Der gute Ton will es, dass man solche Gesuche annimmt, es sei denn, es sprächen gewichtige Gründe dagegen - alle selbstredend im Zusammenhang mit der Ehre der eigenen Familie. Wobei eine Ablehnung wiederum die Ehre der anderen Familie verletzen würde - und so weiter, ad infinitum. Was alles nur bedeutet, dass man besser nicht ablehnt. Es sei denn, es handelt sich um eine Anfrage aus einem gesellschaftlichen Umfeld, das so tief unter der eigenen Würde ist, dass man sich eigentlich schon beleidigt fühlen muss, weil man überhaupt gefragt wurde. Mit anderen Worten, es wagt so gut wie niemand, eine Kaskade gegenseitiger
Ehrabschneidung auszulösen, ganz gleich aus welchem Grunde. Ein Perpetuum mobile der Abhängigkeiten, im Dienste von nichts und wieder nichts!
    So stolzieren sie denn herein, in die elterliche Wohnung der noch nicht verkauften Braut: Vater, Mutter, Brüder, Schwestern, Onkel und Tanten des Bräutigams in spe, allesamt mit einem Geschenk für die Gastgeber in der Hand.
    Für mich selbst hatte ich eine Brautschau der etwas anderen Art erzwungen. Sozusagen die Magerstufe. Bei meiner Schwester dagegen wurde Vollfett aufgetischt und noch eine Extraportion Rahm drübergekippt.
    Ich erspare mir die Schilderung der ausufernden Dramaturgie scheinbarer Wichtigkeiten, zumal sie in abgespeckter Form schon bei meiner eigenen Brautschau geliefert wurde.
    Nur eines sei noch erzählt, weil hier der Vergleich mit Börsengeschäften an seine Grenzen stößt. Bis zur großen Finanzkrise verließ sich jeder Anleger sozusagen blind auf seinen Bankberater. Aber schon seit Adam und Eva hat sich der türkische Brautvater auf sein eigenes Urteil, und nur darauf, verlassen. Einer wie unser Vater würde sich diese Wächterposition nie und nimmer streitig machen lassen.
    »Eine Woche Bedenkzeit.«
    So lautete seine Antwort. Eine ganze Woche, um richtig gründlich der Frage nachzugehen, wie es in Wahrheit um die andere Familie steht. Aber das ist ja alles andere als ungewöhnlich. Da wird dann in der Nachbarschaft herumgehorcht. Verwandte werden ausgefragt. Einen Privatdetektiv zu engagieren gilt nicht etwa als Misstrauensbeweis, sondern als Zeichen, dass man etwas Werthaltiges freizugeben hat.

    Die Familie des Bräutigams wiederum überlegt während der Bedenkzeit des Brautvaters, was man beim nächsten Antrittsbesuch Schönes überreichen könnte. Auch darüber wird nach dem Prinzip von Wert und Gegenwert befunden. Alles ist möglich, vom Leerräumen des eigenen Nippesschranks bis hin zur Anschaffung kostbarster Geschenke. Somit stand die Sippschaft eine Woche später wieder vor der Tür. Ein Mokkatässchen für die Dame des Hauses, eine Pfeife für den Hausherrn, für die Brüder je ein paar Socken und für jedes der Mädchen ein Nachthemd …
    Bei der nun einsetzenden, der eigentlichen Verhandlung, ist es nur normal, dass sich der Brautvater gehörig ziert. Ich vermute jedoch, dass Turhan es damit nicht allzu weit trieb. Wollte er doch dieses Mal nichts, aber auch gar nichts anbrennen lassen. Ohne zu zögern gab er sein Wort. Und damit war alles in trockenen Tüchern - für beide Seiten, denn ein mündliches Eheversprechen ist wie ein Ehevertrag. Ein Versprechen, das man Aug in Aug gibt, ist mürrekepten daha degerli - mehr wert als alle Tinte .
    Die einander versprochenen jungen Menschen befinden sich nun im Sözlü, dem Stadium unmittelbar vor der Verlobung. Die Braut bekommt von der Familie des Bräutigams das erste Kleid geschenkt. Ein zweites folgt zwei Wochen später zur Verlobung, die im Haus der Familie des Bräutigams gefeiert wird und anlässlich derer die Familie der Braut weitere Gaben erhält. Für das Paar bedeutet die Verlobung, dass sie von nun an miteinander ausgehen dürfen - aber Allah möge verhüten, dass dies ohne die Begleitung eines Verwandten geschieht! In dieser Phase trifft
man sich im Café, tauscht artige Komplimente aus, geht zusammen ins Kino.
    Nach drei Monaten schließlich wurde Hatices Hochzeit gefeiert, und zwar so aufwendig und kostspielig, dass sich das junge Paar stattdessen auch einen nagelneuen deutschen Kleinwagen hätte leisten können. Durchs ganze Programm haben sie meine Schwester gezogen. Sie akzeptierte gleich den ersten Bewerber, nicht zuletzt, um es möglichst rasch hinter sich zu bringen. Es war ein Mann, der schon sein eigenes Geld verdiente und sogar eine Eigentumswohnung besaß.
    Nach drei Jahren war es aus und vorbei mit den