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Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse Auth
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und Depression besteht?
    Ich halte jetzt lieber den Mund und trinke noch einen Schluck Äbbelwoi.

Fruchtbarkeitsturbo
    Hannover, ab 1986
     
     
     
     
    G erade sind wir, frisch vermählt, in Hannover angekommen, da gibt es auch schon die erste Überraschung für mich: Bekir hat keine Wohnung mehr. Na gut, dann gehen wir erst mal zu seinem älteren Bruder. Der lebt mit Frau und Kind zwar auch nur in zwei Zimmern, ist aber ein außerordentlich lieber Typ und tritt uns eines davon ab.
    »Wir sind doch eine Familie, da muss man zusammenhalten.«
    Bekir, als »Immobilienmakler«, ohne eigene Wohnung? Das hatte einen sonderbaren Beigeschmack, aber ich stellte keine Fragen. Einerseits, weil Dankbarkeits- und Schuldgefühle mich bremsten. Andererseits, weil eine gute Ehefrau, wie ich es jetzt sein wollte, keine Fragen nach dem Geld stellt. Schon gar nicht an der Seite eines älteren, angeblich gut situierten Mannes. Ein kleiner Engpass - was sonst sollte es sein?
    Aber da war noch ein weiteres Problem. Ich hatte wenig Lust auf Sex, denn da waren diese ständigen Unterleibsentzündungen.
    Das Wort »Verdrängung« gehörte seinerzeit noch nicht zu meinem Wortschatz, geschweige denn »Psychosomatik«. Wie auch? Als Kind im Klammergriff von Familie und
Religion, dann abrupt versetzt in eine Welt voller Verheißungen, die lockten, und voller Gefahren, die ich nicht erkannte. Dem Teenageralter entwachsen als eigenwilliger Seitentrieb der Familie: aus Lust am Protest, aber nichts weiter. Und jetzt? Mit Mühe und Not der Rückversetzung in die Vergangenheit entkommen, erschien mir die Zukunft als Nebel, in dem irgendwo ein Abgrund lauerte. Doch ich mochte dort nicht hinsehen. Ich hatte starke Schmerzen und ging zum Arzt.
    Nach der Untersuchung werde ich zum Gespräch gebeten. Ein Halbgott in Weiß thront auf einem drehbaren Chefsessel hinter einem ausladenden Schreibtisch. Ich hocke davor, auf einer Art Campingstuhl. Routiniert legt der weise alte Mann seine Denkerstirn in sorgenvolle Falten.
    »Sie haben Zysten am Eierstock. Das ist nichts Bösartiges, aber man sollte damit auch nicht spaßen. Na ja, das kriegen wir mit Medikamenten schon wieder hin. Aber da ist noch etwas: Wenn Sie Kinder bekommen möchten, rate ich Ihnen, bald nach der Behandlung schwanger zu werden. Später schaffen Sie es womöglich nicht mehr.«
    Will ich eigentlich Kinder? Habe mir nie Gedanken darüber gemacht … Aber warum eigentlich nicht?
    Er wartet gar nicht ab, was ich dazu sage, sondern empfiehlt gleich etwas.
    »Ich könnte Ihnen Hormone verschreiben, um die Sache ein wenig zu beschleunigen.«
    Eine überzeugende Argumentation, wie mir schien. Ich hatte weder das Wissen, um diesen Vorschlag kritisch zu würdigen, noch war ich in der Position, ihn rundheraus abzulehnen.
Schließlich war ich eine frischgebackene Ehefrau im besten gebärfähigen Alter.
    Bekir reagiert ganz wie ein kommender Familienpatriarch, als ich ihm nicht einmal ein Vierteljahr nach Beginn der Hormonbehandlung meine Schwangerschaft offenbare. Erfreut ist er, sichtlich geschmeichelt - und gibt seiner Hoffnung Ausdruck, dass es ein Junge wird. In meine eigene Freude mischt sich ein leicht flaues Gefühl. Einerseits wegen des Fruchtbarkeitsturbos, den mein Frauenarzt da in mir angeworfen hatte: Ich fühlte mich ein wenig wie die Teilnehmerin an einem medizinischen Experiment. Andererseits, weil ich mir Gedanken um die Zukunft machte: Wie sollten wir erst zu dritt klarkommen, wenn wir schon jetzt nicht in der Lage waren, uns eine eigene Wohnung zu leisten?
    Mein nächster Termin in der Praxis des Frauenarztes. Der gute Mann hält mir das erste Ultraschallbild vor die Nase. Und grinst dabei! Wieder diese herablassende Art. Der weiß doch ganz genau, dass ich auf dem Polaroid nur grauweiße Schlieren im Dunkel des Fruchtwassers erkennen kann.
    »Ist das Kind denn gesund?«, stottere ich verängstigt. Das ist das einzige, was mich jetzt interessiert.
    Er legt das Bild auf die riesige Tischplatte zwischen uns und schiebt seinen Oberkörper so weit nach vorn, dass ich seinen Raucheratem riechen kann. Dabei schaut er mir schelmisch in die Augen.
    » Das Kind …?«
    Er lehnt sich lässig in seinen Thron zurück und fixiert mich scheinbar amüsiert. Dann hebt er die rechte Hand und reckt Zeige- und Mittelfinger nach oben.

    »Nicht eines . Zwei . Sie bekommen Zwillinge.«
    Peng! Da bin ich erst mal platt.
    Als ich die Praxistür hinter mir zuziehe und zur Straßenbahnhaltestelle taumle,

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