Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
machen.
Und, wo ging es hin? Ins Asylantenheim. Nach dem Rausschmiss aus unserer neuen Wohnung war Bekir beim Sozialamt gewesen. Er hatte keine Arbeit, aber auch keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, weil er ja »selbstständig« war. Gewesen war , wie ich jetzt erfuhr. Denn pleite war er auch, und zwar gleich doppelt: geschäftlich und privat. Da blieb nur das Sozialamt, und als Ausländer haben sie ihn mitsamt seiner jungen Familie einfach ins Zwischenlager der Gestrandeten aus aller Welt gepackt. Schwuppdiwupp, in einen Container von sechs mal drei Metern. Zimmer und Küche in einem, wie praktisch. Na, sage ich mir, in solchen Blechdosen hat Baba auch immer gewohnt, wenn er auf Montage war. Aber wir: ein Ehepaar mit neugeborenen Zwillingen?
Man kann sich hier drin ja kaum umdrehen. Alles vollgestellt mit Umzugskartons, unseren paar Habseligkeiten und einigen abgeschabten Möbeln von Papa Staat. Doch das ist noch nicht die ganze Geschichte. Kaum sind wir da, eröffnet mir Bekir unsere gemeinsame Zukunft.
»Ich weiß einen Ausweg. Du musst mir nur vertrauen.«
Na, wenn’s weiter nichts ist.
»Ich muss eine neue Firma gründen.«
Ja klar, es muss das freie Unternehmertum sein. Darunter läuft gar nichts bei dir. Wie wär’s mit einem Gang zum Arbeitsamt, Bursche?
Das denke ich, aber sagen tue ich nichts. Da ist es wieder, dieses erdrückende Gefühl totaler Abhängigkeit. Ich bin es so leid!
Es ist schon erstaunlich. Manche Menschen haben das Talent, andere immer wieder davon zu überzeugen, dass es für sie beim nächsten Mal ganz bestimmt klappen wird! Auch wenn es bisher noch nie geklappt hat. Dört ayaǧının üstüne düşmek - er wird schon wieder auf seine vier Füße fallen , sagen wir dazu. Im Falle Bekirs wäre man bei genauer Zählung womöglich auf noch mehr Füße gekommen, angesichts der stattlichen Anzahl von Bruchlandungen, die er schon hingelegt und scheinbar mühelos überstanden hatte. Das besondere Talent solcher Zeitgenossen liegt vielleicht darin, dass sie instinktiv immer wieder ein geeignetes Opfer finden: Menschen, die entweder ein gutes Herz haben oder selbst in der Klemme sitzen und deshalb nach jedem Strohhalm greifen. Etwa eine junge Frau mit zwei Säuglingen, ohne Geld, ohne Bleibe, ohne Familie. Und mein Mann weiß, bei wem von uns beiden noch etwas zu holen ist - wenn überhaupt:
»Das Geschäft müssten wir nur auf deinen Namen laufen lassen. Ganz einfach.«
Ich höre wohl nicht richtig?
Er aber kommt jetzt erst richtig in Fahrt.
»Du weißt doch, für eine Maklerfirma braucht man kein Startkapital. Nur einen unverbrauchten Namen. Dann kann ich wieder Geld verdienen und uns hier rausholen.«
Einen »unverbrauchten Namen«! Klar, seiner war so ausgelutscht wie eine Weißwurst. Nur ein neuer Name - und schon rennen uns die leicht verdienten Mäuse unsere Wohndose ein! Aber was soll ich machen? Wir brauchen Geld, so ist das nun mal! Ich setze also schließlich meine Unterschrift unter den Wisch, mit dem er »meine« Firma anmeldet.
Es sei nur nebenbei erwähnt, dass es, nach einer Phase vorübergehenden Erfolges, auch wieder nicht geklappt hat mit seinen Geschäften. Jedenfalls nicht so gut, dass er es sich hätte leisten können, Steuern zu zahlen. Die musste später dann ich beim Finanzamt abstottern. Ganz allein.
Mein schrecklichster Verlust
H ati kommt vorbei, sie möchte die Babys sehen. Nachdem sie meine Jungs ausgiebig geknuddelt hat und das hungrige Doppelpack gesättigt ins Land der Träume geschickt worden ist, stellt sie mich zur Rede.
»Mein Gott, wie lebst du denn! Warum machst du das alles mit?«
Das tat weh. Aber hatte sie nicht recht? Musste ich nicht etwas tun? Nur, was?
In jener Zeit haderte ich geradezu leidenschaftlich mit meinem Schicksal. Das mag man normal finden, wenn man unsere damalige Lage bedenkt. Für mich ist es das aber nicht. Denn ich bin ein Mensch, der immer wieder schnell aufsteht, wenn ihn das Leben zu Boden gestoßen hat. Frustration und Selbstzweifel beiseitezuschieben - das kann ich eigentlich sehr gut. Doch damals war ich schlicht und ergreifend überfordert. Ich teilte die Welt in zwei unterschiedliche Hälften. Auf der einen Seite alle Menschen, die mir übel mitzuspielen schienen, vor allem meine Familie und mein Mann. Auf der anderen Seite ich, ihr Opfer. Statt mich zu er-mächtigen, statt mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, ent-machtete ich mich selbst. Mit aller Entschiedenheit begab ich mich in eine
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