Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
destruktive innere Haltung. Ich fühlte mich verraten, ausgestoßen, abgelehnt. Warum nur wurde ich so vom Unglück verfolgt? Warum gerade ich ?
Aber ich habe einen Schutzengel. Ich weiß es. Seine Gegenwart hatte ich zum ersten Mal ganz deutlich kurz nach unserer Einschulung gespürt. Wir waren jeden Morgen aufgeregt und ungeduldig, wenn es zur Schule am anderen Ende des Ortes gehen sollte. Es gab so viel zu sehen unterwegs! Und wir wollten es genießen, wollten wenigstens ein paar Minuten Zeit für uns haben. Um den Leuten in die Fenster zu schauen. Den Kioskbesitzer zu begrüßen. Dem Vogelgezwitscher in Susurluk Parkı zu lauschen. Und eine klitzekleine Weile am Garaj zu verweilen, in der Hoffnung, ein Reisebus würde halten und einen Schwarm Alamancılar ausspucken.
Aber diese Babanne! Stahl uns jeden Morgen kostbare Minuten mit ihren Schutzritualen. Kleine Kinder unbeaufsichtigt aus dem Haus gehen lassen - da muss man doch vorher beten. Oder eine unverständliche Segnung murmeln. Oder, und das glaube ich heute eigentlich eher, unsere Schutzengel auf den Plan rufen. Jedenfalls ist uns niemals etwas passiert auf dem Schulweg. Wenn wir auch nicht immer pünktlich waren, weil wir ja noch sooo viel zu sehen und zu quatschen hatten.
Ein Schutzengel ist in der Regel nicht für die Lösung der ganz großen Probleme da. Gerät der ihm anvertraute Mensch in eine richtig kritische Lage, erstattet er seinem »Vorgesetzten« (manche nennen ihn Erzengel) Meldung. Der überlegt dann ganz objektiv, ob etwas getan werden sollte, oder ob das Menschlein eine Lektion erhalten und sich doch bitteschön selbst aus der Patsche helfen soll. Das ist den Engeln nämlich durchaus auch wichtig, und zwar öfter, als den meisten von uns lieb ist.
Mein Schutzengel ist besonders gut darin, mir kleine Atempausen zu verschaffen. Die habe ich nicht selten nötig. Deshalb konzentriert er sich wohl auch so effizient auf diese Spezialaufgabe. Aber wie um mir zu zeigen, dass er der Chef ist und nicht ich, lässt er mir die erlösende Botschaft häufig durch eine Person zukommen, der ich es am allerwenigsten zugetraut hätte. Wirklich! Auch damals war es so …
»Geh mit den Kindern zu meinen Eltern nach Ankara, dort bist du besser aufgehoben.«
Bekir drückt mir ein Flugticket in die Hand.
»Man wird dich mit Freuden erwarten.«
Tatsächlich, meine Schwiegereltern empfangen mich mit offenen Armen. Sie haben ein großes Haus und viel Platz für mich und meine Babys. Endlich gutes Essen, endlich Unterstützung bei der Versorgung der Kinder. Und ich kann wieder einmal durchschlafen! Meine Schwiegermutter gibt den Babys nachts das Fläschchen und wickelt sie auch.
Drei volle Monate lang ist mein Leben leichter. Dann kommt Bekir uns besuchen. Er sagt mir, er brauche noch ein wenig Zeit, bis er für uns alle eine neue Wohnung gefunden hätte.
»Bleib doch noch ein bisschen. Hier geht es dir doch gut.«
Aber ich traue dem Braten nicht. Irgendetwas beunruhigt mich. Und es zieht mich nach Deutschland. Diesmal setze ich mich durch. Und wir bekommen umgehend eine akzeptable Wohnung. Warum nur hätte meine Anwesenheit
ihn gestört? Ich habe es nie erfahren. Aber er scheint wieder Geld in der Tasche zu haben. Woher? Ich frage nicht. Hauptsache, wir haben ein neues Zuhause.
Seit wir zurück sind, bin ich wieder allein für die Versorgung der Babys zuständig. Wir haben gerade im Wohnzimmer ferngesehen, Bekir ist auf dem Sofa eingenickt. Ich bleibe wach und warte. Es lohnt sich nicht, vor eins zu Bett zu gehen. Das ist die richtige Zeit, um den Kleinen die Flasche zu geben, damit sie vielleicht bis zum Morgen durchschlafen. Bald werden sie sich melden. Da! Einer quengelt schon. Es ist Cenk, ich kann es an der Stimme hören. Gehe rüber und nehme ihn hoch. Während er friedlich am Fläschchen nuckelt, schaue ich nach Cem.
Der gibt ja keinen Mucks von sich!
Ich setze Cenk ab und nehme Cem hoch.
Kein Atemzug. Nichts! Was ist denn bloß los mit ihm?
Was man als Mutter in so einem Moment erlebt, ist schnell gesagt: Man sieht sich wie eine Maschine funktionieren, obwohl die Panik übermächtig scheint. Ich rase zum Telefon, rufe den Krankenwagen. Nehme meinen Sohn wieder auf den Arm, tätschele ihn, versuche mich an einer Mund-zu-Mund-Beatmung, wecke schreiend meinen Mann, flehe den Kleinen an, doch endlich ein Lebenszeichen von sich zu geben. Einen Schrei, ein Stöhnen, einen einzigen Seufzer nur …
Wird er etwa schon kalt? Oder bilde ich mir
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