Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
am Ende noch mehr mit den Nerven runter als vorher.
So waren mein äußeres und mein inneres Leben ein perfektes Beispiel für das Ineinandergreifen tatsächlicher Probleme (unsere wirtschaftliche Situation, unsere Ehe, der Verlust eines Kindes, meine Krankheit, die Symbiose zwischen mir und dem überlebenden Kind) und eingebildeter Schwierigkeiten (dass ich mich allein für die Probleme meines Kindes verantwortlich fühlte, dass ich mich als Versagerin sah, dass ich mich als Opfer begriff, dass ich auf dem besten Wege war, mich zur Verliererin zu stilisieren). Welche Probleme waren nun größer? Heute würde ich sagen, die in der zweiten Gruppe, denn meine gelebte Überzeugung ist, dass unsere Gedanken unsere Wirklichkeit formen. Natürlich: Die Probleme in Gruppe eins waren sehr real, und ich hatte sie nicht allein verursacht. Alles andere aber, in erster Linie, welchen Kurs unser Lebensschiff letztlich einschlägt, ist eine Frage der eigenen inneren Einstellung.
Doch wie heißt es so schön in einem deutschen Sprichwort: Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.
»Wenn Sie Glück haben und im nächsten halben Jahr keine Metastasen entstehen, können Sie gut mit der Situation leben.«
Ich war wieder mal beim Arzt, und er erläuterte mir den neuesten Befund. Jetzt war nur noch die Frage: Was heißt denn dann »Glück haben«?
Der Mann modulierte seine Stimme zu einem durchdringenden Flüstern, um seinem ärztlichen Rat Gewicht zu verleihen. Nie wieder habe ich jemanden so laut flüstern hören.
»Falls sich jedoch welche bilden sollten, stehen die Überlebenschancen sehr schlecht.«
Na dann, alles klar!
In diesem Moment ging in der Tiefe meines Wesens ein Ruck durch mich durch. So tief, dass ich es nur wie das ferne Echo einer sonderbar vertrauten, fast schon nicht mehr für möglich gehaltenen Empfindung erlebte. Das Echo dieses Echos jedoch war überaus stark: Ich spürte mit einer Verwunderung, die mich trotz des Ernstes der Situation fast zum Lachen reizte, dass ich noch da war.
Es gibt mich noch!
Und es soll das Leben sein!
Mit dem Echo eines Echos zu leben, das sich irgendwo zwischen Hirn, Herz und Bauch entfaltet, bedeutet, keine Ahnung zu haben, was da in einem geschieht. Es geschieht einfach. Ich registrierte sozusagen aus den mentalen Augenwinkeln, dass ich mein Leben, das sich keineswegs verändert hatte, von nun an mit einer, sagen wir einmal: gewissen Leichtigkeit lebte. Nein, mit etwas weniger Schwere, um korrekt zu sein.
Immerhin.
Ich fragte nicht nach der Ursache dieses neuen Lebensgefühls. Das war es ja eigentlich auch noch gar nicht. Es war wie ein leichter Luftstrom, der sich aus irgendeinem vergessenen
Winkel meines Wesens in die anderen Teile meiner selbst auszubreiten begann. Ein Durchatmen. Ein Aufblicken. Ein Rasten.
»Alles bestens. Schauen Sie selbst. Kein Schatten, nichts. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es noch mal kommt, fast auszuschließen.«
Ich bin wieder beim Arzt, nur ein paar Wochen später.
An der Wand hängt ein Röntgenbild. Ich weiß, dass es meine verbliebene Niere zeigt, aber erkenne ich irgendetwas? Auch egal, jetzt geht es nur um eines.
»Ich darf also weiterleben?«
Wieso wird eigentlich immer nur geflüstert, wenn es um Leben oder Tod geht?
»Auf jeden Fall.«
Der Arzt lächelt, und er spricht jetzt mit sonorer Stimme. Das scheint mir ein stärkerer Beweis für meine mögliche Rettung zu sein, als die drei Worte, die er benutzt. Ist es nicht merkwürdig, worauf man achtet, wenn man lernen musste, dass die Lüge im Gewand schönster Reden daherkommen könnte?
Nun wird seine Stimme richtig laut, fest und mahnend. Allerdings, ich höre kaum noch hin.
»Jedoch muss ich auf einem engmaschigen Kontrollnetz bestehen. Ich ersuche Sie dringend, weiterhin regelmäßig zur Untersuchung zu erscheinen. Erst alle drei Monate, dann jedes Halbjahr, dann vier Jahre lang einmal im Jahr.«
Die schönste Nachricht seit vielen Jahren - und ich empfinde so gut wie nichts . Aber man braucht in solchen Situationen Zeit. Jedes Mal, wenn ich in den folgenden Monaten
und Jahren in der Klinik antrat, kam ich mir vor, als stünde ich vor einem Richter, der mein Todesurteil bereits auf dem Tisch liegen hat, in letzter Minute aber doch noch das Gnadengesuch unterschreiben könnte.
Die Angst vor dem Sterben saß tief. Aus heutiger Sicht war das aber ein ungeheurer Fortschritt für mich, die ich damals, in meinen schwärzesten Stunden, am
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