Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
länger mitmachen.«
Er schaut mich ausdruckslos an. Nein, er schaut durch mich hindurch, als würde ihn das überhaupt nichts angehen.
»Nicht nur mit der Therapie - auch mit dir. Ich kann es nicht mehr ertragen, dass du so passiv bist. Ich werde dich verlassen.«
Und, sagt er jetzt endlich mal was?
»Bekir, hast du nicht gehört?«
Langsam bin ich etwas verunsichert. Mimt dieser Mann jetzt den Obercoolen - oder ist er schon so abgestumpft, dass ihn gar nichts mehr kratzt? Nicht einmal, dass seine Frau ihn verlassen will?
Jetzt schaut er mir direkt ins Gesicht. Mit dem Blick eines alten Hundes, der das Wasser nicht mehr halten kann.
»Wenn du gehen musst, dann geh.«
Das meint er nicht im Ernst! Oder doch?
»Hier hält dich keiner auf.«
Eine eindeutige Geste zur Tür und ein Blick voller Leidensstolz, der die Haltung des unschuldig Gemarterten in Vollendung ausdrückt.
In mir geschieht in diesem Moment etwas, das man schwer beschreiben kann. Es fühlt sich an wie das Umklappen von Dominosteinen, die dazu aufgebaut wurden, nur auf einen kleinen Schubser hin der Reihe nach umzufallen, einer nach dem anderen, wie in einer stummen Verschwörung
gegen ihr inneres Gleichgewicht. Ich schaue auf diesen Mann, und meine Entschlossenheit ist dahin, von einer Sekunde auf die andere. Ich sehe diesen Mann, wie er wirklich ist. Ich sehe all die kalte Wut, die unter einer dicken Schicht gespielter Gleichgültigkeit in ihm brodelt. Den verwundeten Stolz, der seinen Schwierigkeiten, das eigene Leben zu meistern, auf dem Fuße folgt. Das Gefühl der Demütigung, seiner Frau nicht der Mann zu sein, der er doch eigentlich sein will.
Sollte das jetzt hier wirklich das Ende unserer Ehe sein?
Auf einmal fühle ich mich meinem Mann so nah wie selten zuvor. Plötzlich schäme ich mich für mein impulsives Auftreten. Mein schlechtes Gewissen feiert ein unwiderstehliches Comeback. Hatte ich nicht geschworen, eine gute Ehefrau zu sein? Ich höre, wie jetzt Worte gesprochen werden, die von irgendwoher zu kommen scheinen, aber doch aus meinem eigenen Mund hervorsprudeln.
»Ach komm, Bekir, wir schaffen das schon. Lass es uns noch einmal versuchen. Wenn wir beide an einem Strang ziehen, sind wir stark. Was meinst du?«
Er starrt vor sich hin. Kein Ja, kein Nein. Der Tag geht weiter, als wäre nichts gewesen.
Und nicht nur dieser Tag, sondern noch viele Tage, insgesamt anderthalb Jahre. Wie einen kostbaren Schatz hegte und pflegte ich die Illusion, ich könnte etwas wiedergutmachen, was nicht mehr gutzumachen war. Gebadet in Schuldgefühlen erniedrigte ich mich erneut zur Dienstmagd. Gab mir mit dem Mut der Verzweiflung alle Mühe, meine Familie glücklich zu machen - und rührte damit womöglich nur noch schmerzhafter an die seelischen Wunden meines Mannes.
Ich ging weiter zur Arbeit im Friseursalon, wie zuvor. Früh am Morgen fuhr ich Cenk mit der Straßenbahn zu seiner Tagesmutter, nach Dienstschluss ging ich in den Supermarkt einkaufen, holte mein Kind ab, fuhr mit Cenk an der einen Hand und den Einkaufstüten in der anderen nach Hause. Ich kochte, machte sauber, brachte mein Söhnchen ins Bett.
Nur eines wurde jetzt anders: Ich war langsam wieder in der Lage, mich selbst aufzubauen. Schrittweise fasste ich neuen Mut. Und einmal mehr war es die Arbeit, die meine Vitalität stimulierte. Es machte mir wieder Spaß, Menschen schöner zu machen! Das brachte mir auch ein Stückchen der Anerkennung, die jeder Mensch braucht und die ich zu Hause vermisste.
Doch je mehr Boden ich unter den Füßen gewann, desto mehr glitt mein Mann in die Tiefe. Das schien wie ein Gesetz in unserer Beziehung. Aber auf Dauer kann eine Ehe so nicht funktionieren. Es kam, wie es kommen musste. Irgendwann war es vorbei, endgültig. Nicht mit einem lauten Knall, sondern infolge eines schleichenden Prozesses, der uns unmerklich dorthin führte. Bis der letzte Tropfen das Fass endgültig zum Überlaufen brachte.
Der tiefblaue Morgenhimmel kündigt einen strahlenden Frühlingstag an. Es ist Montag, der Feiertag der Friseure. Cenk, inzwischen vier Jahre alt, frühstückt in der Küche seine Haferflocken, ich trinke Kaffee. In mir arbeitet es. Am Abend zuvor hat Bekir im Streit die Wohnung verlassen,
noch immer ist er nicht zurück. Jetzt reicht es mir. Mit einem Ruck stelle ich die Tasse auf den Tisch. Mein Entschluss fällt so plötzlich, als würde vom pfeifenden Wasserkessel das Ventil abspringen. Viele Male habe ich es in Gedanken durchgespielt, heute
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