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Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom

Titel: Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse Auth
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vergessen. Außerdem wollte ich seinerzeit von nichts, was mit Babanne zu tun hatte, auch nur das Geringste wissen.«
    Sibel schüttelt traurig den Kopf.
    »Ayşe, ich denke, du hättest die Krankheit nicht bekommen, wenn du deinen Glauben nicht verloren hättest.«
    »Wer weiß das schon«, entgegne ich mehr zu mir selbst. »Ich habe einmal gehört, dass Krankheit durch Machtlosigkeit entsteht. Davon wirst du krank. Ich habe mich damals dermaßen ohnmächtig gefühlt! Und das Schlimmste war, dass ich mich in letzter Konsequenz doch selbst in diese Situation hineinmanövriert hatte!«
    »Ein Glück, dass du damals deinen Sohn hattest.«
    Sibel kennt mich wirklich sehr gut.
     
     
     
     
     
    Hannover, 1989 bis 1992
     
     
    Cenk war mein einziger Lichtblick. Aus der Rehaklinik entlassen, packte ich sofort meine Koffer und flog zu ihm nach Ankara. Wie ich mich auf meinen kleinen Liebling freute!
    » Canım - mein Herz , die Mama ist wieder da!«
    Freudestrahlend laufe ich auf ihn zu, hebe ihn hoch, bussele ihn ab.

    Doch was ist das? Mein Kleiner dreht den Kopf weg, will von meinem Arm runter! Das Herz wird mir schwer.
    Es dauerte zwar nur wenige Stunden, bis wir wieder zueinander fanden. Doch es ließ Erinnerungen in mir aufsteigen, die ich längst vergessen glaubte. Mein eigener Sohn führte mir vor Augen, wie es sich für ein Kind anfühlt, von der Mutter getrennt zu werden. Mir, die ich als Kleinkind genau diese Erfahrung gemacht hatte! Wir hatten Cenk nicht die ganze Wahrheit über meinen Zustand gesagt, um ihn zu schonen. Er wusste zwar, dass ich im Krankenhaus lag, aber warum er mich nicht sehen durfte, hat er wohl nicht ganz verstehen können.
    Obwohl es unter den gegebenen Umständen ganz sicher die beste Lösung für ihn war, dass er vorübergehend zur Oma kam, machte ich mir deshalb ein schlechtes Gewissen. Ich verstand nicht, dass ich damit nun mein eigenes Schicksal - das von ihren Eltern in fremde Hände gegebene Kind - auf meinen Sohn projizierte. Genauso wenig verstand ich, dass die eigentliche, tiefere Ursache der Trennungsängste, die er nun vermehrt an den Tag legte, auch ganz woanders liegen konnte: in der Passivität seines Vaters, der ihm als Kleinkind kaum Zuwendung gegeben hatte, und in der Tatsache, dass ich von Anbeginn an seine einzige verlässliche Bezugsperson war. Und wahrscheinlich trug die ganze Liebe, mit der ich ihn jetzt nur so überschüttete, sogar noch dazu bei, dass er sich immer stärker auf mich fixierte.
    Cenk wurde ein richtiges »Klammerkind«. Er wollte mich um keinen Preis mehr weglassen. Wie eine Klette hing er an mir, ließ mich keinen Moment mehr aus den
Augen. Und wie eine Mutter, die immer perfekt sein will, reagierte ich mit noch mehr schlechtem Gewissen. Das stürzte uns beide zwangsläufig in eine Spirale des Scheiterns: Ich scheiterte an meinen eigenen Ansprüchen, er daran, mich ständig für sich haben zu wollen. Ich entwickelte das Gefühl, dass mein Kind mir die Luft zum Atmen nahm, was mein schlechtes Gewissen nur noch vergrößerte. Er plärrte bei jeder Kleinigkeit, wenn etwas nicht so lief, wie er es haben wollte, und benahm sich bereits wie ein kleiner Pascha. Wenn man keine wirklichen pädagogischen Kenntnisse hat, sondern sich mit »Lebensweisheiten« behelfen muss, die man im Laufe der Zeit mitbekommen hat, nimmt man schnell zu Erklärungen Zuflucht wie: »Na ja, er kommt scheinbar ganz nach seinem Vater.«
    Viel später erst, im Gespräch mit alleinerziehenden Müttern - und ich war faktisch eine alleinerziehende Mutter, wenn auch eine mit Trauschein - begriff ich, dass meine damalige Situation mit einem einzigen schlichten Wort erklärt werden konnte: Überforderung.
    Bis zu seinem neunten Lebensjahr wollte Cenk nicht allein schlafen. Sobald er nachts aufwachte, kam er in mein Bett gekrochen. Einmal hat er mich so abrupt aus dem Schlaf gerissen, dass ich ihn im Affekt anbrüllte:
    »Raus! Du hast dein eigenes Zimmer!«
    Beleidigt trollte er sich. Am nächsten Morgen machte ich die Tür auf und fand den kleinen Kerl vor meiner Schlafzimmertür auf dem Boden - schlafend, auf seiner Bettdecke. Von da an ließ ich ihn wieder in mein Bett …

    Ein anderes Mal bat ich in meiner Verzweiflung meine Schwester, Cenk übers Wochenende zu sich zu nehmen. Ich sehnte mich danach, endlich wieder mal durchzuschlafen und mich ein wenig zu entspannen. Aber da hatte ich mein Söhnchen unterschätzt! Cenk trat in den Hungerstreik, er aß keinen Bissen - und ich war

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