Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
wird es geschehen. Ohne nachzudenken greife ich zum Hörer, rufe einen Freund aus Darmstadt an.
»Kannst du Cenk und mich bitte abholen? So schnell wie möglich?«
Die Stimme am anderen Ende klingt alles andere als überrascht.
»Ist es so weit? Hast du es dir auch gut überlegt?«
Ich bemühe mich, ruhig und entschlossen zu klingen.
»Ja, heute ist der Tag. Ich werde es tun.«
Ein paar Stunden später steht der Freund, ein Verwandter von Cavidans Ehemann, mit seinem Auto vor der Tür.
Ich habe inzwischen einen Abschiedsbrief geschrieben.
Lieber Bekir,
heute werde ich Dich endgültig verlassen. Cenk und ich kommen vorerst bei meiner Familie unter. Bitte akzeptiere, dass ich nicht anders kann, und versuche nicht, uns zurückzuholen. Ich habe jetzt begriffen, dass unsere Ehe nicht mehr zu retten ist. Ich werde versuchen, mir und Cenk ein neues Leben aufzubauen.
Ich habe nur das Nötigste mitgenommen. Behalte alles, was wir uns angeschafft haben, die Möbel, das Geschirr, die Wäsche. Es gehört Dir.
Ich wünsche Dir von Herzen alles Gute!
Ayşe
Ich packe unsere Kleider und zwei Decken ein, nehme Cenk an die Hand. Wieder einmal besteige ich ein Auto, das mich in ein anderes Leben bringen wird. Bei meiner Schwester Cavidan in Darmstadt können wir fürs Erste unterkommen.
Tschüs, Hannover! Allahaısmarladık! An blühenden Obstbäumen vorbei verlassen wir die Stadt und fahren in Richtung Autobahn. Fast wie damals, geht es mir durch den Kopf. Ich sehe die Szene vor mir, wie ich als 16-Jährige im Kleinbus meiner Eltern das Ortsschild von Susurluk passiere. Mit wie viel Hoffnung im Herzen ich vor acht Jahren aufgebrochen bin!
Diesmal erwarte ich rein gar nichts, aber etwas in mir ist sich sicher, dass ich das Richtige tue.
»Es kann nur besser werden«, flüstere ich Cenk ins Ohr und spreche dabei doch mehr zu mir selbst.
Der Kleine rollt sich friedlich auf dem Sitz zusammen, den Kopf auf meinem Schoß. Fasziniert betrachte ich sein entspanntes Gesichtchen. Wie vertrauensvoll er unserer ungewissen Zukunft entgegenschläft.
»Wir beide! Wir packen das! Das Schlimmste haben wir schon hinter uns.«
Teil 3
Geschwisterglück
München, irgendwann im Jahr 2008
D rei meiner vier Schwestern stehen in der Tür: Naime, Hatice und Cavidan. Mitsamt sechs Kindern. Zehn Personen in meiner Single-Wohnung, ein ganzes Wochenende lang! Ich liebe es, wenn sie bei mir einfallen. Da kommt so ein wohliges Zuhausegefühl auf, wenn ich von vielen Armen umschlungen und mit Bussi-Salven eingedeckt werde. Unterdessen nehmen die Kinder meine Wohnung in Beschlag. In jedem freien Eckchen stellen sie ihre Taschen und Koffer ab. Und kämpfen um den besten Platz für den eigenen Yastık , das Gegenstück zur deutschen Luftmatratze: eine gepolsterte Decke, die wie ein Futon aufgerollt werden kann. Ein endloses Geraschel und Gewusel hebt an, während drei erwachsene Schwestern immer weiterschnattern.
»Wie geht es dir? Offenbar gut! Siehst ja schon wieder jünger aus als letztes Jahr.«
Wer hört das nicht gern, egal ob es stimmt oder nicht? Ich streiche meinem Neffen Volkan, Naimes Sohn, übers Haar.
»Wie du schon wieder gewachsen bist! Und wirst deinem Vater immer ähnlicher! Bald wirst du ein großer, starker Mann sein!«
Das ist ein Wunsch in Allahs Ohr - außerdem hört eine türkische Mama so etwas supergern.
Natürlich haben sie mir Geschenke mitgebracht. Es ist bei uns eine Selbstverständlichkeit, den Gastgeber mit einer liebevoll ausgesuchten Kleinigkeit zu erfreuen und zu ehren. Unter uns aber geht es noch weiter: Im Nu ist mein Kühlschrank mit vorgekochtem Essen gefüllt. Meine Schwestern wissen nur zu gut, dass meine hausfraulichen Qualitäten nicht mit den ihren mithalten können … Zwischendurch hole ich Malsachen und Spielzeug raus, das ich für die Kinder vorbereitet habe, damit sie sich beschäftigen können. Nun können wir Frauen in unserer Begrüßungszeremonie schwelgen. Wir betrachten und bewerten unser Äußeres, verteilen Komplimente, necken uns mit kleinen freundschaftlichen Scherzen. Uns gefällt das!
»Krallar gibi yaşamak - lasst uns leben wie die Könige!«
Für mich ist so ein Wochenende Entspannung pur. Wenn Leben in der Bude ist, bin auch ich in meinem Element. Sogar wenn dabei in meiner sonst so geleckten und aufgeräumten Wohnung das Chaos ausbricht. Überblick zu behalten, das kann ich mir getrost für die nächste Woche aufheben. Früh genug werde ich wieder dafür sorgen
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