Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
müssen, dass das Geschäft brummt, dass alles funktioniert. Jetzt werde ich zur Abwechslung mal anderen die Regie überlassen! Vor allem Naime, die als Älteste dafür prädestiniert ist, das Kommando zu übernehmen. Ayşe, ganz privat, lehnt sich lächelnd und entspannt zurück. Ist nur noch Schwester und Tante. Darf endlich einmal Couch-Potato sein.
So glucken wir tagelang auf engstem Raum zusammen. Berührungsängste? Kennen wir nicht! Wir wurden ja von
klein auf daran gewöhnt, wie es ist, wenn man sich gegenseitig auf der Pelle sitzt, weil es nur wenig Platz gibt. Und seit wir es nicht mehr müssen , da wollen wir es sogar zeitweise. Und es macht uns richtig Spaß: Tee trinken, Pistazien knabbern, zu dritt oder viert auf dem Sofa hocken. Orientalische Musik hören. In Fotoalben blättern. Oder einfach wild durcheinander quasseln, die Kinder auf dem Schoß oder zu Füßen.
Nachts geht es zu wie im Zeltlager. Jedes Kind schläft auf seinem Yastık , Naime und Cavidan auf dem Schlafsofa, Hati und ich in meinem Bett. Ungestörtes Einschlafen: Fehlanzeige! In meiner Maisonette-Wohnung gibt es keine Trennwände. Bis weit nach Mitternacht hört man es aus allen Ecken tuscheln und kichern.
»Ich bin hundemüde. Ruhe da drüben!«
Das war Naime - sie brauchte schon immer ihren gesunden Schlaf.
»Genau wie früher«, murmele ich.
»Nur viel lustiger«, murmelt Hatice schlaftrunken zurück.
Da können wir nicht mehr an uns halten und prusten trotz Übermüdung los, auch auf die Gefahr hin, dass wir unsere große Schwester zur Weißglut treiben.
Selbstverständlich wird aufwendig gekocht. Wenn türkische Familien zusammenkommen, und sei es nur eine Teilfamilie von drei Schwestern mit Kindern, dann wird nicht nur morgens und abends, sondern von morgens bis abends gegessen. Naime, die Frontfrau der Girlgroup am Herd, dirigiert auch die Verteilung der brechend vollen Teller auf Ess-, Couch- und Beistelltisch. Die Gelage der alten
Römer in allen Ehren - die zügellose Schlemmerei unter den can bogazdan gelir, den »Töchtern des Halbmonds« , sucht im Zeitalter der Wellness-Diäten ihresgleichen. Sobald mehrere von uns zusammen sind, gehört es einfach zum guten Ton, in unvorstellbaren Mengen zu kochen und üppig zu tafeln. Und damit die Gastgeberin nur ja keinen Hunger leiden muss, bleiben todsicher zahlreiche Tupperware-Dosen mit leckersten Mezze im Kühlschrank, wenn die Schwestern dann wieder abgezogen sein werden.
»Die Boxen krieg ich aber zurück!«
So muss Naime doch schon vorsorglich mahnen, und der Zeigefinger flutscht nach oben, wie in alten Zeiten.
Unsere Generalin! Wie streng sie immer noch sein kann!
»Aber, aber, Naime Abla - meine ältere Schwester! Ich hätte nicht gedacht, dass du schon so deutsch geworden bist!«
Augenzwinkernd kneife ich sie in die Taille.
Und dann haben wir auch einen Ausflug gemacht. Ich dachte, ich zeig ihnen mal ein richtig schönes Stück Bayern. Auf zwei Elektrobooten schippern wir über den Starnberger See. Anschließend lade ich sie zum Essen in einem schicken Restaurant am Ufer ein, mit grandiosem Ausblick über den glitzernden See vor fantastischer Bergkulisse.
Aber damit habe ich wohl ein wenig überzogen. Erwarteten sie vielleicht ein türkisches Picknick auf der grünen Wiese? Mit mir als Hüterin des Grillfeuers, assistiert von den größeren Jungs? Abends jedenfalls, schon wieder daheim, bauen sich mir nichts dir nichts die alten Fronten auf.
Dazu muss man wissen: Unter uns Schwestern gibt es eine »türkische« und eine »deutsche« Fraktion. Aynur und
Naime, die beiden Ältesten, hatten offenkundig nie etwas anderes im Sinn als ein »türkisches Frauenleben«. Berufsausbildung? Nicht nötig. Sie wollten perfekte Hausfrau und tolle Mutter werden - und, ja, diesen Job machen sie auch hervorragend, das muss man ihnen lassen. Türkische Modell-Ehefrauen gehen darin auf, Gemahl und Kinder zu umsorgen, sie zu verwöhnen und im Kreise gleichgesinnter Landsleute die alten Sitten und Gebräuche hochzuhalten. Damit meine ich nicht, dass sie sich dem technischen Fortschritt verschlössen. O nein! Gerade türkische Hausfrauen nutzen zum Beispiel leidenschaftlich gern das Internet. Schon immer haben meine Landsleute die Möglichkeiten fortschrittlicher Technik als eine Bereicherung des täglichen Lebens erkannt und angenommen.
Es gibt eine lustige Geschichte im Zusammenhang mit der Einführung des Farbfernsehens in Deutschland im Jahr meiner Geburt. Willy Brandt
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