Freiheit schmeckt wie Traenen und Champagner - Mein wunderbares Leben gegen den Strom
drückte während der Berliner Funkausstellung auf einen dieser berühmten roten Knöpfe, die angeblich eine großartige technische Neuerung auslösen, dabei aber doch nichts als Attrappe sind. Gut, dass damals noch kaum jemand einen Farbfernseher besaß - sonst hätte sich das ganze Land vor Lachen den Bauch gehalten. Schon Sekunden bevor der Politikerdaumen den Knopf erreichte wurden nämlich die Bildschirme bunt! Man munkelte, es sei ein türkischer Techniker gewesen, der es nicht abwarten konnte, die Welt in voller Farbenpracht in die Wohnzimmer seiner Landsleute zu schicken … Nur eine Legende? Tatsache ist, dass meine Landsleute alles, was das Leben lebendiger, schicker und bunter macht, mit geradezu kindlicher Freude begrüßen!
Yaşam renkli - Leben ist Farbe! Das gilt auch und vor allem bei der Inneneinrichtung. Damit verpflanzt man ein Stück Heimat sogar ins triste Grau des Türkenviertels von Darmstadt oder Castrop-Rauxel. In der guten Stube steht, nein prangt ein Ring von Sofas, vor jeder Wand und in jeder Ecke eines. Das erste geblümt, das nächste kariert, das dritte gestreift - dem Deutschen fallen die Augen heraus, der Türke lässt seine Blicke wohlgefällig auf der Farbexplosion ruhen, durch die ein schlichtes Funktionsmöbel zum emotionalen Großereignis wird.
Tatsächlich steckt auch in dieser Eigentümlichkeit das tiefe menschliche Bedürfnis, Althergebrachtes nicht sangund klanglos zu entsorgen, sondern es in die neue Zeit hinüberzuretten. Im Orient war der Diwan das dominierende Möbel im offiziellen Zimmer der Familienwohnung. Ob als komfortables Bodenkissen oder als niedrige gepolsterte Bank, der Diwan ermöglichte es, dass alle im Kreis saßen, sei es als Gast oder als Mitglied der Familie. Im Kreis zu sitzen, auf Augenhöhe und mit niedrigem Körperschwerpunkt, das drückt einerseits gegenseitige Achtung und Wertschätzung unter Gleichen aus, andererseits die Bereitschaft, sich in Ruhe aufeinander einzulassen. Denn fast auf dem Boden sitzend überlegt man es sich zweimal, ob man die Mühen des Aufstehens auf sich nehmen will.
Auch in unserem Wohn-Schlafzimmer in Susurluk lag, wo immer ein Stückchen Wand zum Anlehnen frei war, auf dem Boden ein bunt gemustertes Sitzkissen bereit. Heutzutage platzieren meine Landsleute ihr Gesäß zwar zeitgemäß in größerer Höhe, mit beflissener Hartnäckigkeit halten
sie jedoch daran fest, dass ihre legendäre Gastfreundlichkeit sich schon durch die Ausstattung ihres Wohnzimmers kundtut.
»Der Gast ist König, und wer viele Gäste hat, ist selbst ein König.«
Ergo, damit alle Gäste es gut haben: Je mehr bunte Sofas mit ultraweichen Polstern, desto angenehmer die zwischenmenschliche Begegnung.
Und ist das nicht eine sympathische Erscheinung in einer Welt, die den Stehempfang zum Nonplusultra des Willkommens erhoben hat? Als Gastgeberin leide ich immer wieder aufs Neue unter der scheinbar unaufhaltsamen gesellschaftlichen Ächtung des Sitzens. Selbst an einem perfekten Abend ist es der schönste Moment für mich, nachdem ich mich stundenlang von Stehtisch zu Stehtisch geplaudert habe, endlich die High Heels ausziehen und meine Füße massieren zu dürfen. Manchmal spiele ich mit dem Gedanken, den Sitzempfang in Bodennähe als neueste Mode zu propagieren. Die deutschen Frauen hätte ich sicher schnell auf meiner Seite, denn vielleicht würden ihre Männer dann endlich auch zum Yoga gehen, um etwas gelenkiger zu werden, weil sie sonst fürchten müssten, beim Cocktail auf dem Diwan wie nasse Säcke in die Polster zu plumpsen …
Doch zurück zu unserem kleinen Schwesterndisput an einem sonst wirklich rundum gelungenen Wochenende.
Zwei Welten treffen aufeinander in unserer Familie, wenn die nunmehr erwachsenen Schwestern sich begegnen. Die einen sind in Deutschland assimiliert, akkulturiert und
arriviert. Die anderen haben zwar von Kindesbeinen an im selben Land gelebt, halten aber immer noch die türkische Tradition hoch, mit allem Stolz und Stil. Bunt ist die Welt, Allah sei Dank! Der Preis dafür sind halt mitunter heiße Diskussionen. Wo in unserer Familie doch schon Kleinigkeiten zum Drama werden können: Mısırdaki saǧır Sultan bile duydu - selbst der taube Sultan in Ägypten hat es gehört.
Eigentlich dreht es sich dabei stets um die gleichen Themen: Familienehre: wie wichtig? Wahrung der herkömmlichen Sitten und Gebräuche: alter Zopf, der abgeschnitten gehört, oder hohes Gut, das gewahrt werden muss? Die Frau an der
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