Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Freiheit statt Kapitalismus

Freiheit statt Kapitalismus

Titel: Freiheit statt Kapitalismus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sahra Wagenknecht
Vom Netzwerk:
mitzubestimmen, ist daraus jedoch nie erwachsen. Schon das Doppelstimmrecht des allein von der Eigentümerseite bestellten Aufsichtsratsvorsitzenden gewährleistet, dass Letztere selbst bei paritätischer Besetzung des Aufsichtsrats immer die notwendige Mehrheit hat. Die Gesellschafterversammlung der Eigentümer kann zudem jede Entscheidung des Aufsichtsrats wieder aufheben. Personengesellschaften, selbst wenn es sich um große Konzerne handelt, sind von den Mitbestimmungsregeln ganz ausgenommen.
    Die Rolle der Arbeitsdirektoren wiederum war von vornherein so konzipiert, dass es schon außergewöhnlicher Charakterstärke bedarf, um auf diesem Posten nicht korrumpiert zu werden. Schon 1951, als die Arbeitsdirektoren gerade per Montangesetz installiert worden waren, erläuterte ein Industrieller unverblümt und zynisch, wie er sie wieder zu erledigen gedachte: »Die Arbeitsdirektoren bekommen sofort die größten und luxuriösesten Personenwagen. Wir bauen ihnen Villen und geben diesen eine Luxusausstattung, die diese Bonzen korrumpieren. In die Vorzimmer setzen wir ihnen ihre weiblichen Verhältnisse.Mit Hilfe der Aufsichtsratsvergütungen sind so viele Möglichkeiten der Manipulierung gegeben, dass sich die Gewerkschaftsbonzen in den ihnen gelegten Schlingen nicht mehr bewegen können. … Nach einigen Jahren werden die Arbeiter ihre Vertreter aus den Betrieben hinausjagen.« 200
    Auch wenn Letzteres bisher nicht stattgefunden hat, war diese Strategie nicht ohne Erfolg. Man denke etwa an den ehemaligen VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz, der als Teil eines korrupten und kriminellen Netzwerkes den seinerzeitigen Betriebsratsschef Volkert für gefügiges Verhalten mit Millionen bestach und selbst auf großem Fuße lebte.
    Auch in anderen europäischen Ländern wurde die Erfahrung gemacht, dass die Eigentümer bzw. ihr Management Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten in Fragen der Arbeitsplatzsicherheit und der Arbeitsbedingungen mehr oder weniger akzeptieren, Entscheidungen in Fragen der ökonomischen und finanziellen Firmenpolitik dagegen bis heute allein treffen. Diese Sachlage wird durch eine umfassende Studie über Mitbestimmungsmodelle in Europa belegt, die die Situation in den einzelnen europäischen Ländern in den Siebzigern und dann noch einmal Anfang der achtziger Jahre unter die Lupe nimmt. Die von einem europaweiten Forschungsnetzwerk getragene Studie
Industrial Democracy in Europe
kommt nach ihrer zweiten Untersuchung zu dem Schluss, »dass institutionelle Regelungen einen geringeren Einfluss auf die tatsächliche Mitbestimmung zu haben scheinen als nach unserer früheren Studie angenommen. Die allgemeine Situation auf dem Arbeitsmarkt ist danach für den Grad der Mitbestimmung wichtiger als das jeweilige Mitbestimmungsmodell – je höher die Arbeitslosenquote, desto niedriger der Einfluss der Beschäftigten auf die Unternehmensentscheidungen.« 201 Generell stellt die Studie fest, dass »weder de jure die Mitbestimmungsstrukturen noch de facto das Mitbestimmungsverhalten in der Mehrheit der EU-Länder besonders entwickelt sind«. 202
    Zufall ist das nicht. Natürlich könnten die Gesetze verbessert und die Mitbestimmung ausgebaut werden. Natürlich kann – und sollte – man fordern, etwa im deutschen Mitbestimmungsgesetz das doppelte Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden abzuschaffen und die Rechteder Gesellschafterversammlung zu beschneiden. Ebenso wichtig wäre es, den Beschäftigten über Belegschaftsabstimmungen Vetorechte bei wichtigen betrieblichen Entscheidungen einzuräumen, bei geplanten Betriebsverlagerungen etwa oder bei Massenentlassungen. Überfällig ist es, größere Personengesellschaften den gleichen Mitbestimmungsregeln zu unterwerfen wie Kapitalgesellschaften.
    Das alles kann und muss man fordern. Man sollte nur nicht der Illusion unterliegen, die Kriterien der Unternehmensführung auf diesem Wege grundlegend verändern zu können. Auch Versuche, Großunternehmen durch gesetzliche Vorschriften auf den Pfad der Tugend zurückzuführen, ihnen also per Gesetz vernünftige wohlstandssteigernde Prioritäten der Geschäftsführung aufzuzwingen, wie es das Grundgesetz eigentlich verlangt, sind heute kaum mehr aussichtsreich. Der sozial gebändigte Kapitalismus der Nachkriegszeit beruhte darauf, dass die Konzerne nicht mächtiger waren als die Staaten. Dieses Kräfteverhältnis hat sich mit der Konzentration von Wirtschaftsmacht bei branchenbestimmenden Global Playern verändert. Solange

Weitere Kostenlose Bücher