Freiheit statt Kapitalismus
Selbstverständlichkeit mit dem Eigentum am eigenen Häuschen oder persönlichen Gebrauchsgegenständen auf eine Ebene gestellt. Wer Ersteres nicht respektiert, steht im Verdacht, auch Letzteres nicht zu achten. Die Botschaft ist klar: Kleinbesitzer, schützt euer Eigentum, indem ihr das der Erben wirtschaftlicher Macht vor dem Zugriff der Gesellschaft bewahrt!
Wer aber glaubt, er verteidige sein persönliches Eigentum, wenn er die bestehende wirtschaftliche Eigentumsordnung verteidigt, der sollte bedenken, dass es just diese Ordnung ist, die immer mehr Menschen um ihr persönliches Eigentum bringt.
Privates Sachvermögen, das auf eigener Arbeit beruht, muss vor Enteignung geschützt sein. Genau dieses Eigentum wird in Artikel 14des Grundgesetzes gewährleistet. Die Eigentumsgewährleistung wäre jedoch eine Enteignungsgewährleistung, wenn sie zugleich jene wirtschaftlichen Machtbastionen schützen würde, die die Basis für die
Enteignung
der Mehrheit der Menschen durch eine kleine Minderheit sind. »Es ist … irreführend, wenn verfassungsrechtliche Auseinandersetzungen um gesetzliche Begrenzungen des Eigentümerbeliebens mit Argumenten aus der Welt des persönlichen Eigentums geführt werden,« 206 stellt der Jurist und ehemalige Hamburger Professor für öffentliches Recht, Helmut Rittstieg, in einer exzellenten Studie über »Eigentum als Verfassungsproblem« fest.
Verlangt der Schutz des selbst erarbeiteten Eigentums der Menschen also nicht das genaue Gegenteil der heutigen Praxis? Verlangt er nicht, verfassungsrechtlich auszuschließen, dass Unternehmen, die aufgrund ihrer Größe oder der Art ihrer Produkte wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht verkörpern, Gegenstand privaten Eigentums sein können? Eben weil es hier nicht um »der Oma ihr klein Häuschen« geht, sondern um Eigentumstitel, die Herrschaft über Menschen verkörpern. Ein Großunternehmen ist keine Privatangelegenheit. Sobald ein Unternehmen eine bestimmte Größe überschreitet oder einen nennenswerten Anteil an einem wichtigen Markt erreicht, tritt es in unmittelbare Beziehung zum Gemeinwohl.
Unternehmen von öffentlichem Interesse
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts begann sich die Auffassung durchzusetzen, dass es Eigentum gibt, dessen Nutzung in besonderer Weise mit dem Gemeinwohl in Verbindung steht und das deshalb öffentliche Eingriffe rechtfertigt. In der Common-Law-Tradition bildete sich der Begriff des »business affected with a public interest« heraus. In den EU-Verträgen gibt es die Kategorie der »Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse«, die ursprünglich Ausnahmen vom Wettbewerbsrecht begründen sollte (auch wenn diese Dienste im Liberalisierungswahn der letzten Jahre kommerziellen Angeboten mehr und mehr gleichgestellt wurden).
Wenn ein Unternehmen von öffentlichem Interesse sich in privater Hand befindet und damit in erster Linie der privaten Gewinnerzielungdient, führt das fast zwangsläufig zu Problemen. Der oben zitierte Hamburger Rechtsprofessor Helmut Rittstieg regte daher bereits in den siebziger Jahren an, darüber nachzudenken,
»ob im Wege der gesetzlichen Neubestimmung möglicher Eigentumsinhalte auch gewisse Gegenstände außer Eigentum gesetzt, emanzipiert werden können«. 207
Ganz neu wäre das nicht. Auch heute kann nicht jedes Gut Gegenstand privaten Eigentums sein. Seit Abschaffung der Sklaverei etwa gibt es kein Eigentum an Menschen mehr. Das scheint uns heute selbstverständlich, aber noch Mitte des 19. Jahrhunderts hatte das höchste US-Gericht, der amerikanische Supreme Court, das Eigentum an Sklaven wie jedes andere Eigentum unter den Schutz der Verfassung gestellt. Neben der Abschaffung der Sklaverei gibt es weitere Vorläufer. So wurden durch Artikel 86 des Euratomvertrages die Grundstoffe für die Gewinnung der Atomenergie für eigentumsunfähig erklärt. Auch ist das Grundwasser ausdrücklich aus dem Grundeigentum ausgeklammert.
Kein Gegenstand privaten Eigentums
Die Diskussion darüber, ob man in Anbetracht der historischen Erfahrungen privates Eigentum an sehr großen Wirtschaftsunternehmen verfassungsrechtlich ausschließen sollte, spielte in den Anfangsjahren der Bundesrepublik eine große Rolle. Dieser Debatte verdanken Formulierungen ihre Existenz wie die in der Saarländischen Landesverfassung, dass Schlüsselunternehmungen »nicht Gegenstand privaten Eigentums« sein dürfen, und zwar »wegen ihrer überragenden Bedeutung für die
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