Freitags Tod
Lindenblüten heran. Ich stieg zwei Stufen hinauf. Der Geruch wechselte, Harzkäse und welker Kohl. Ein Glöckchen bimmelte, als ich durch die Tür trat. Zwei Alte tranken Wein an einem Plastiktisch. Irritiert musterten sie mich und sanken einander wieder in die Augen. Ich fühlte, wie sich Schweiß zwischen meinen Schulterblättern sammelte.
»Schönes Auto. Was, Belle?« Der brünette Typ in T-Shirt und Jeans blickte durch die blinden Scheiben. Er stand hinter einer Kühltheke, die nicht mehr als zwei Salamis und eine Schale mit Gehacktem enthielt, und sprühte Wasser auf die Blätter der gigantischen Topfpflanze im Schaufenster.
»Ciroën DS 23. Einer der Letzten, die vom Band gelaufen sind.« Mein Vater hatte mir die » Göttin« zusammen mit seiner kleinen Werkstatt vererbt. Wir hatten quasi am selben Tag Geburtstag. Seit seinem Tod reparierte ich sie. So hatte er es gewollt.
»Du bekommst sofort etwas.« Er lächelte, aber er schien nicht mich zu meinen. Mit zwei Fingern zupfte er ein wenig Rinderhack ab und ließ es in die Kelche der Pflanze gleiten.
»Kann ich bei Ihnen einen Kaffee bekommen?«
»Nein. Nimm Platz.«
Verwirrt starrte ich ihn an. Als er schwieg, ließ ich mich auf einer Kiste nahe dem Eingang nieder. Einen Moment lang schloss ich die Augen. Erst jetzt stellte ich fest, wie erschöpft ich war.
»Sie mag nur Mageres. Fettes verträgt sie nicht.« Der Typ betrachtete liebevoll das Gestrüpp aus wachsartigen Blättern und Blüten wie rote Henkeltöpfchen. Dann hob er den Kopf.
Bevor ich etwas erwidern konnte, verschwand er. Die Schnüre des Perlenvorhangs klimperten. Ich fragte mich, wen er angesprochen hatte, und sah mich um; hinter mir die Tür; dahinter flirrende Hitze. Plötzlich war er wieder da und reichte mir ein großes, beschlagenes Glas mit Zitronenlimonade und Eis. Bis dahin war mir nicht aufgefallen, wie durstig ich war. Die letzte längere Pause hatte ich in den frühen Morgenstunden an der Ruhr gemacht. Weil ich fror und mein Nacken schmerzte, war ich aus einem kurzen Schlaf erwacht und nach Osten weitergefahren. Ich trank in langen, gierigen Zügen.
»Tom, bringst du uns noch eine Flasche?« Aus ihren Augen zwischen unzähligen Fältchen blitzte ein wacher Verstand. Die Hand der Alten lag in der ihres Begleiters. Sein Blick ruhte auf ihr, als könne er sich nicht sattsehen an der Fülle weißen Haars, das sie zu einem wilden Knoten aufgesteckt hatte. Tom entkorkte eine Flasche Müller-Thurgau.
»Von der Unstrut.« Er schlurfte zu den beiden hinüber. Seine Hose hing auf knochigen Hüften und sein T-Shirt gab einen Streifen Haut frei, als er einschenkte. Auf dem Rückweg ordnete er einen Stapel Kekspackungen in einem Regal und pflückte ein trockenes Blatt vom Blumenkohl.
Dankbar stellte ich das Glas ab. »Ein Päckchen Tabak, bitte«, sagte ich.
»Das ist Circe. Sie ist meine älteste Kannenpflanze. Ich hatte sie schon als Kind.« Tom beschäftigte sich wieder mit dem fremdartigen Gewächs.
»Interessant.« Ich musste weiter. »Was macht das?«
»Wenn du willst, zeige ich dir die anderen.« Diesmal sah er mir ins Gesicht. Das Blau seiner Iris verschlug mir den Atem. Ohne mich aus den Augen zu lassen, hob er die Hand und wies mit dem Daumen hinter sich.
»Lacht der Wind im Korn …« Die Greisin summte in einem samtigen Alt. Ihr Begleiter strich über ihre Wange.
Tom nahm meine Hand; ich fühlte seine schmalen, kühlen Finger. Er zog mich hinter sich her. Das Glöckchen bimmelte. Die Härchen in seinem Nacken waren beinahe blond.
Hinterm Haus ein glitzernder Weiher, Kiefern und angelegte Senken voller Sumpf. Feingliedriger Sonnentau zwischen Venusfalle und Aronstab. Zierliches Taublatt neben Sauerklee und Bärlapp. Am Rande des weitläufigen Grundstücks kauerte ein Gewächshaus. Die Tür quietschte. Eine Amsel flog zeternd davon. Aus dem Inneren schlug uns Schwüle, süß und erdschwer, entgegen, darunter ein Geruch nach … Es wollte mir nicht einfallen. Augenblicklich klebte meine Bluse am Rücken. Wasser tropfte von den Scheiben … Verwesung? Zwischen dem Blattwerk lauerten prächtige Kelche und schlauchartige Gebilde in Rot, Orange und Hellgrün auf ihre Beute. Ich schrie auf, als ich in einem von ihnen einen winzigen, toten Nager entdeckte.
»Meine Mutter hat sie gesammelt. Sogar Leute aus den botanischen Gärten kamen her. Wir waren ziemlich bekannt. Als kleiner Junge fing ich Fliegen für unsere Gewächse. Mutter hat mir gezeigt, wie man die Pflanzen pflegt
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