Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kuhlmeyer
Vom Netzwerk:
und vermehrt.« Tom schwieg. Wasser tropfte. Rinnsale von Schweiß kitzelten in meinen Kniekehlen.
    »Und dann …?« Sumpfgewächse mitten im märkischen Sand. Was auch immer diesen seltsamen Ort hervorgebracht haben mochte, ich wollte es wissen. Ich würde die Geschichte zusammen mit einer großen Wasserflasche einpacken und mit ans Meer nehmen. Das Meer! Wenn ich erst dort wäre, würde ich ein Haus kaufen, Tomaten pflanzen und auf ein Kind warten. Ich wollte schon immer ans Meer. Tom stand so nah bei mir, dass ich die Einstiche in seiner linken Ellenbeuge erkennen konnte, als er eine Ranke zur Seite schob. Ein Schweißtropfen hinterließ eine feuchte Spur auf seinem Hals.
    »Und was ist dann passiert?« Meine Stimme fühlte sich rau an, ich musste schlucken.
    »Es wurde wirklich Zeit …« Er schien wieder in Gedanken, besann sich. »Sie ist gestorben.«
    »Das tut mir leid.«
    »Das muss es nicht. In allem, was du hier siehst«, er machte eine umfassende Armbewegung, »lebt sie weiter.«
    Mich schauderte plötzlich. Tom betätigte einen Hebel und ein Oberlicht öffnete sich. Frische Luft strömte herein. Ich nahm einen tiefen Zug. Als er mir die Tür aufhielt, war er wieder da, dieser Blick. Ich schlüpfte an ihm vorbei und lehnte mich an die trockene Borke einer Kiefer.
    » Gehen wir rein.« Er sah zum Himmel. »Es wird ein heißer Tag.« Die Hintertür stand offen. Aber Tom führte mich um das Haus herum. Er winkte den beiden Alten zu, die Hand in Hand in den Sandweg einbogen, der zwischen den Feldern hindurchführte. »Sie kommen immer hierher. Tag für Tag.« Eine Weile schaute er ihnen nach.
    Das Glöckchen bimmelte wieder. Die Weinflasche auf dem Plastiktisch war noch halb voll. Tom holte frische Gläser, gab Mineralwasser, Eis und Zitrone hinein und füllte sie mit Wein auf. Eines drückte er mir in die Hand. Es war kühl und verlockend.
    »Auf dich! Auf das Leben!« Sein Blick bohrte sich dorthin, wo ich lange niemanden mehr hingelassen hatte. Ich spürte den Schmerz und hob mein Glas. Dann räumte er zwei Stühle und das Tischchen vor die Tür. Wind trocknete meine Haut.
    »Ich bin froh, dass du da bist.«
    »Aber du konntest doch gar nicht wissen, dass ich komme. Ich wusste es ja selbst nicht. Und du kennst noch nicht mal meinen Namen.«
    Er lehnte sich zurück und ließ die Lider ein wenig sinken.
    »Dann sag ihn mir.«
    »Claire.«
    Er grinste. Eine Pause trat ein.
    »Na und, Claire?« Aus seinem Mund klang mein Name wie ein Pseudonym. »Bleibst du?«
    »Hier?« Ich sah mich um.
    Tom nickte und wartete.
    »Aber ich muss …«
    »Was?«
    »Weiter …«
    »Wenn du sie erst kennst, wirst du nicht mehr von ihnen lassen können. Ich weiß, dass du sie verstehst.« Wieder schoss er einen seiner Blicke auf mein Inneres ab. »Wer, wenn nicht du?«
    Er schenkte nach und erzählte eine Geschichte, ein Stück seiner Geschichte. Ich fühlte mich beschwingt und ein wenig verwirrt, als ich mich erhob. Zeit zu reisen, dachte ich. Ich gab Tom einen Kuss neben sein Ohrläppchen.
    Im Auto roch es nach Leder und kaltem Rauch, nicht gut, aber vertraut. Die Kontrolllampe leuchtete auf. Verdammt! Ich wusste, was das bedeutete. Ich hatte einfach nicht mehr daran gedacht. Natürlich hätte ich hier ohnehin keinen Keilriemen kaufen können. Also raffte ich meinen Rock und streifte den rechten Strumpf ab. Es war schade um das teure Paar, aber provisorisch würde er den Keilriemen ersetzen.
    Tom öffnete die Fahrertür und sah mich an, mit Augen schwarz wie Obsidian. Ich ließ den Strumpf durch meine Hände gleiten. Das Meer hatte so lange auf mich gewartet; jahrelang. Auf ein paar Stunden mehr oder weniger kam es nicht an. Oder doch?
    Ich würde später weiterfahren.
    Wahrscheinlich.

7
    Als Julia sich hinters Steuer des Golfs schob, hob sie den Blick. Eine Gardine an einem Fenster der oberen Etage bewegte sich.
    »Was jetzt?«, wollte Conrad wissen.
    »Erst mal weg hier, bevor ich kotze.« Julia startete den Motor und setzte den Wagen mit Schwung aus der Auffahrt.
    Sie schwiegen auf dem Weg ins Präsidium. Offensichtlich hatte die Atmosphäre im Freitagschen Haus Julia fast genauso zugesetzt wie der Anblick der Leiche im Altenheim. Conrad starrte durch die Windschutzscheibe auf die Straße. Der junge Frühlingstag hatte einen Grauschleier bekommen. Eigentlich war Conrad keiner, der unablässig reden musste, doch dieses Schweigen drückte.
    Also fragte er, weil ihm nichts Besseres einfiel: »Was machst du am

Weitere Kostenlose Bücher