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Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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setzte sich wieder. »Meine Mutter hat wohl nichts gesagt, was?«
    »Was hätte sie denn sagen sollen?«
    »Ach, nichts. Natürlich, nichts.« Er winkte ab.
    »Würden Sie es mir denn erzählen? Immerhin ist Ihr Vater auf brutale Weise ums Leben gekommen.«
    Henry beugte sich nach vorn und fixierte Julia, deren Herz sich sinnlos beschleunigte. »Er ist gestorben, wie er lebte, Frau Morgenstern.«
    »Sie meinen, er hat es nicht anders verdient?«
    »Ich bin sicher kein religiöser Mensch. Aber wenn es einen gerechten Gott gibt …« Er lehnte sich zurück und rieb sich die Augen.
    »Und haben Sie eine Idee, wer in diesem Falle Gottes Werkzeug gewesen sein könnte?«
    Henry schüttelte den Kopf. »Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Ich sagte ja, wir hatten kaum Kontakt, seit er mich mit fünfzehn endlich ins Internat verfrachten konnte.«
    »Sie wollten nicht dorthin?«
    »Ich wollte auf meine Mutter aufpassen. Ich hatte Angst, dass er sie eines Tages erschlägt.«
    »Dass er sie …« Julia musste Luft schöpfen.
    »Er war ein gewalttätiger Dreckskerl, wenn Sie es wissen wollen. Als ich alt genug war, hab ich mich gewehrt, und Gottfried musste ein paar Tage sein gebrochenes Jochbein im Krankenhaus behandeln lassen.« In dieses müde, angespannte Gesicht trat eine Art Genugtuung.
    »Danach hat man Sie ins Internat geschickt?«
    »Der Alte wollte mich schon Jahre früher aus dem Haus haben. Aber ich wollte nicht. Wegen Mutter wollte ich nicht und wegen Sophie und wegen …« Sein Blick heftete sich auf ein Bild an der Wand zwischen den beiden Fenstern, eine gerahmte Zeichnung, unbeholfen, aber nicht schlecht. Die Zeichnung eines noch nicht ausgereiften Talents.
    Marie, dachte Henry. Wegen Marie wollte ich vor allem nicht. Nicht, bis zu diesem Tag …
     
    Der Himmel wölbte sich blau über den Wipfeln. Sonne flimmerte durch die Blätter. Ein Tag wie Seide. Henry schloss die Augen und atmete ein. Es roch nach spätem Flieder. Er spürte ein Flirren im Bauch, in der Brust, überall. Marie. Ein Gefühl wie … Es war unvergleichlich, neu und einzigartig. Marie wollte ihn sehen. Heute. Alles in ihm jubelte.
    »Henry?« Seine Mutter. Konnte sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen?
    Ein Schatten hatte auf Maries Gesicht gelegen, als sie ihm in der Pause den Zettel zuschob. »Am Sonntag um drei. Du weißt ja, wo.« Er streichelte das oft gelesene Papier in seiner Hosentasche.
    »Henry, kommst du?«
    Was wollte sie nur? Er sprang auf die Füße und schlenderte durch den weitläufigen Garten zum Haus.
    »Wasch dir wenigstens die Hände.« Hedwig Freitag warf einen missbilligenden Blick auf sein Äußeres. »Dann können wir.« Sie prüfte ihre Frisur im Spiegel.
    »Dann können wir – was?«
    »Über den Coesfelder Berg wandern und am Kloster Gerleve einkehren.«
    »Jetzt?« Die Uhr zeigte zwei. Es würde eine Ewigkeit dauern, bis sie zurück wären. Das ging nicht. Marie.
    »Dein Vater hat dir etwas Wichtiges zu sagen. Wir fanden, dass ein kleiner Ausflug der passende Rahmen wäre. Außerdem …« Sie machte eine Pause. »Er will dir verzeihen.« Wieder eine Pause. Sie lächelte vage. »Denke ich.«
    »Aber Mama, heute ist Sonntag.«
    »Eben.« Sie legte sich die Kette mit dem goldenen Kreuz um den Hals.
    »Ich kann nicht.«
    »Was kannst du nicht?« Henry hatte ihn nicht kommen hören. Sein Vater trug einen seiner grauen Anzüge und seine Stimme schnarrte scharf. Er duldete keinen Widerspruch. Das tat er nie. Henry wusste, dass er seine Ansichten durchsetzte, immer und mit allen Mitteln. Er versuchte es trotzdem. Diesmal war es zu wichtig. Der Bluterguss unter Vaters linkem Auge, der sich inzwischen gelbgrün verfärbt hatte, gab ihm Mut. Mut, ja. Aber …
    »Ich kann nicht mit«, sagte Henry. »Ich habe etwas vor.«
    »Was du auch vorhast, es kann nicht so bedeutend sein, dass es nicht verschoben werden könnte. Heute! Am Sonntag!«
    Aber es konnte nicht verschoben werden. Nichts, was mit Marie zu tun hatte, konnte verschoben werden. Nur würde Henry das seinem Vater kaum sagen können. Der wusste ja nichts von Marie. Niemals würde Henry es zulassen, dass sein Vater von ihr erfuhr. Was blieb ihm also übrig, als Marie eine SMS zu senden und sich in sein Schicksal zu fügen?
    Er schlurfte ins Bad, ließ Wasser laufen und setzte sich auf den Wannenrand. Verzagt tippte er die Botschaft ins Handy, bat sie, das Treffen um eine Stunde zu verschieben, würde sie Zeit haben?
    Der Weg vorbei an blühenden Gärten, hinaus in die

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