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Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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Bis zu ihrem Tode vor drei Jahren stand sie in einem losen Kontakt zu ihm. Seitdem habe ich nichts mehr von ihm gehört und hatte auch kein Bedürfnis danach.«
    »Kennen Sie Ihre Geschwister?«
    »Ich habe sie einmal getroffen, weil meine Mutter es so wollte.«
    »Später gab es keine Verbindung zwischen Ihnen?«
    »Nein, das sagte ich doch. Ich würde jetzt wirklich gern weiterfahren?«
    »Wo soll’s denn hingehen?« Böse lächelte verbindlich.
    »Das geht Sie zwar nichts an, aber ich sag es Ihnen trotzdem. Ich fahre jetzt zum Kreiskrankenhaus und versuche in Erfahrung zu bringen, wo man Claire hingebracht hat.«
    »Ihre Freundin?«
    »Herrgott, ja.« Tom wunderte sich über den Verlauf des Gesprächs. Sein Vater war tot, und Claire war also seine Freundin.
    »Wenn Sie mir ein bisschen weiterhelfen, könnte ich das für Sie erledigen.«
    Tom sah Böse skeptisch an. »Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen. Ich weiß nichts über Gottfried Freitag, außer dass er der Grund ist, warum meine Mutter ein paar Jahre in Bautzen und ich im Kinderheim zubringen mussten. Er hat sich nicht um uns gekümmert, nicht soweit ich weiß.«
    »Und Sie hatten nie das Bedürfnis, ihn kennenzulernen, auch nach der deutsch-deutschen Vereinigung nicht?«
    Tom wand sich ein wenig. »Doch schon, als ich jünger war, schon. Es hat sich nicht ergeben. Auf meine Briefe hat er nicht geantwortet, nur alle paar Jahre hat er mir eine Karte zum Geburtstag oder zu Weihnachten geschickt.«
    »Also gut, Herr Sebald. Ich habe es Ihnen versprochen. Wenn Sie einen Augenblick warten, telefoniere ich und sage Ihnen, wo das Unfallopfer versorgt wird.« Böse sah Tom eindringlich an, er hatte offensichtlich noch Fragen.
    Tom würde ihm nichts sagen können. Was sollte er auch sagen? Dass Freitag der mieseste Dreckskerl war, der ihm je unter die Augen gekommen war? Und er war ihm unter die Augen gekommen, es war noch nicht einmal so lange her, wie er es wünschen würde. Und er hatte Sophie wiedergesehen. Was war aus dem zierlichen, heiteren Kind geworden, das er gekannt hatte? Tom wusste, dass Freitag dafür verantwortlich war und niemand sonst. Es hatte ihm beinahe das Herz gebrochen, als er dem toten Blick seiner kleinen Schwester begegnet war. Beinahe. Aber er hatte daran gemerkt, dass er es nie gespürt hatte, sein Herz. Der Schmerz hatte ihn überrascht wie ein Sommergewitter, aber »die kleine Dosis« hatte ihm geholfen.
    Wie seine Geschwister ihn gefunden hatten, erfuhr Tom nicht, und warum sie ihn eingeladen hatten, auch nicht. Erst als er die lange Zugfahrt bis tief in den Westen hinter sich gebracht hatte, spürte er in der Gegenwart der beiden, dass es nicht ausschließlich plötzlich aufgetretene Geschwisterliebe gewesen sein konnte, die sie bewogen hatte, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Mehrmals hatte er sich die Frage gestellt, was ihn selbst angetrieben hatte, diese Reise zu tun. Vielleicht war es die Neugier, wie sein Dasein ohne den Stacheldraht zwischen den Welten hätte verlaufen können. Was er zu sehen bekam, hatte ihn nicht versöhnt, noch nicht einmal getröstet – das öde Leben einer gut situierten Familie, in dem der Hass im Keller wohnte. Für den Aufenthalt im Münsterland hatte die »kleine Dosis« gerade eben gereicht, dann war er zurückgefahren, aufgewühlt und enttäuscht, nur den Neid auf ein unbeschwertes Leben hatte er dort gelassen.
    Böse drehte Tom den Rücken zu und sprach in sein Handy. Als er fertig war, verstaute er es umständlich in einer seiner vielen Manteltaschen.
    »Sie ist ins Elisabeth-Krankenhaus gebracht worden. Kennen Sie das?«
    Tom nickte, spürte seinen Herzschlag. »Ich danke Ihnen«, brachte er hervor.
    »Moment.« Böse fand mit einem Griff eine Visitenkarte und reichte sie Tom. »Ich suche mir im Ort ein Zimmer für die Nacht. Wie wäre es, wenn wir uns am Abend auf ein Bier träfen?«
    Tom willigte ein. Bis zum Abend konnte viel geschehen.
     
    Das Elisabeth-Krankenhaus war ein Klinkerbau vom Anfang des letzten Jahrhunderts. Der Eingangsbereich wirkte modern, er musste vor ein paar Jahren neu gestaltet worden sein. Jenseits einer Glasfront hockte eine Blondine vor ihrem Monitor. Plötzlich fiel Tom ein, dass er keine Ahnung hatte, nach wem er fragen sollte. Natürlich konnte er sich nach der jungen Frau erkundigen, die eben eingeliefert worden war, aber auf diese Weise würde man ihm kaum einen Besuch gestatten. Wohl oder übel musste er Böse noch einmal bemühen. Er hatte keine Idee, wer sonst

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