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Freitags Tod

Freitags Tod

Titel: Freitags Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Kuhlmeyer
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bei den Rotariern half er bei der Organisation von Benefizveranstaltungen, im Tennisverein trainierte er den Nachwuchs. Zuletzt hat er sich in der Kommunalpolitik engagiert. Ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft, das war …«, sie zögerte, »mein Mann« und spuckte die letzten beiden Worte aus wie etwas Widerwärtiges.
    »Das sind natürlich nachvollziehbare, berechtigte Gründe für einen Mord«, sagte Julia.
    »Sie haben ja keine Ahnung.« Hedwig Freitag starrte sie an, ihr Mundwinkel zuckte.
    Diesmal würde Julia auf der Hut sein. Sie spürte, wie sich ihre Muskeln anspannten, ihre Schultern verkrampften. Ihr fiel ihre leere Badewanne ein, und dass die sich sicher einsam fühlte. Wenn sie jetzt eine weitere Frage stellte, würde die Wanne leer und einsam bleiben, und Julia würde die nächsten Stunden mit dieser unberechenbaren Frau verbringen müssen. Sie würde Verantwortung übernehmen. Wer Fragen stellte, übernahm Verantwortung, nicht für die Antwort selbst, nur dafür, dass es überhaupt eine gab. Wie oft hatte sie das schon erlebt? Hatte Fragen gestellt und Antworten bekommen, Geschichten, von denen sie besser nie erfahren hätte. Wenn sie jetzt schwieg, konnte sie die Freitag fortschicken, konnte nach Hause fahren und sich einen schönen Abend machen, musste nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben deswegen. Jetzt konnte sie noch.
    »Wovon habe ich keine Ahnung?«, fragte sie. Die Worte hingen im Raum, schienen zu verweilen, bis sie das Hirn der Frau erreichten und ihre Geschichte in Bewegung setzten. Die Freitag senkte den Blick und zupfte am Nagelbett des linken Zeigefingers, dann erzählte sie.
     
    »Er war ein schlechter Mensch. Früher hätte ich das nie von jemandem gesagt und lange, sehr lange habe ich das auch von Gottfried nicht gesagt. Aber es war so. Ich weiß nicht, warum ich ihn geheiratet habe. Ich hätte es nicht tun sollen.« Ihr Blick richtete sich nach innen, hakte sich fest an einer Erinnerung, an einer Zeit, da sie eine Entscheidung hätte treffen können, eine andere Entscheidung.
    »Wie oft habe ich in den letzten Jahren darüber nachgegrübelt, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich es nicht getan hätte, wenn ich nein gesagt hätte? Ich bin zu keinem Ergebnis gekommen. Dabei mochte ich ihn nicht einmal, nicht am Anfang und später schon gar nicht, ganz im Gegensatz zu meinem Vater. Die beiden verstanden sich sofort. Meine Mutter wiegte nur den Kopf, als ich sie fragte, was sie von Gottfried hielt. Sie lächelte und schwieg. Gottfried war das, was man damals einen stattlichen jungen Mann nannte. Seine Eltern hatten einen kleinen Betrieb, der Miederwaren herstellte, und ein Haus auf dem Coesfelder Berg. Das war schon was, jedenfalls für meine Eltern. Der Krieg hatte ihre Familien aus Schlesien in den Westen gespült. Das geliebte Klavier hatte meine Mutter zurücklassen müssen, und der kleine Bruder war auf der Flucht an Lungenentzündung gestorben. Dass es mir besser gehen solle, sagte sie und dass Vater sein Möglichstes tue. Tatsächlich arbeitete er hart. Und wenn er nicht arbeitete, trank er. Eigentlich tranken damals alle Väter, so kam es mir vor.« Sie machte eine Pause, wie um sich dieses Gedankens noch einmal zu vergewissern.
    »Das erste Mal schlug Gottfried mich am Tag vor der Hochzeit. Ich machte mir vor, es sei nur der Aufregung wegen und dass es keine Bedeutung habe. Das war natürlich ausgemachter Blödsinn. Ich war gerade dreiundzwanzig und arbeitete in einem Hutgeschäft. Das gibt es übrigens heute noch. Kennen Sie es?« Hedwig Freitag hob den Kopf, und Julia erstaunte das Strahlen, das plötzlich über ihrem Gesicht lag. Sie nickte. Julia hatte sich immer gefragt, wie sich das Hutgeschäft in der Süringstraße, das von zwei reizenden Damen geführt wurde, halten konnte. Wer kaufte heute noch Hüte?
    »Es war eine gute Zeit. Die Leute mochten mich. Es war eigentlich die einzige Zeit in meinem Leben, in der mich jemand mochte. Ich hätte Hutverkäuferin bleiben sollen«, sagte sie mehr zu sich selbst.
    »Dann kam Henry. Ab da wurde es von Jahr zu Jahr schlimmer. Einmal, beim Frühstück, zerbrach ich einen Teller. Erst brüllte mich Gottfried an, ich sei zu dumm und zu nichts zu gebrauchen, dann redete er drei Wochen kein Wort mehr mit mir. Ich solle lernen, wie man richtig Frühstück mache, sagte er, bis dahin würde er nicht mit mir sprechen. Als ich sein Schweigen nicht mehr aushielt, schrieb ich ihm einen langen Brief der Entschuldigung. Am Tag

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