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Fremd küssen. Roman

Fremd küssen. Roman

Titel: Fremd küssen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi von Wolff
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diskutiert darüber, ob es Sache des Mieters oder Vermieters ist, die Klappläden zu streichen. Ich setze mich, nehme mir einen Kaffee und überlege, was ich nun endlich heute Abend anziehe. Richard meint, bei Kursen in der Volkshochschule wäre nichts Aufdringliches angebracht. Also doch Jeans und Blazer. Ich kann es kaum erwarten, das Haus zu verlassen. Beschwingt begebe ich mich gegen 19 Uhr 30 gen Volkshochschule. Ich fühle mich wie die Frauen in den Modezeitschriften, die mit Mitte dreißig etwas »ganz Neues« wagen. Da gibt es doch immer diese Vorher-nachher-Bilder. Wie bei den Hornhautfüßen im Happy Sun. Helga aus Duisburg zum Beispiel, Hausfrau mit vier Kindern, arbeitet halbtags im Büro und ist ansonsten nur für die Familie da. Sie hat irgendwann im letzten Herbst gemerkt, dass es »so nicht mehr weitergeht«. Die Hände aufgerissen von der vielen Gartenarbeit (warum Gemüse kaufen, wenn man es kostengünstiger im eigenen Beet anpflanzen und ernten kann), das Gesicht spröde ob mangelnder Hautpflege (ach, man wird halt älter, das ist der Zahn der Zeit) und die Frisur ein undefinierbares Etwas aus herausgewachsener Dauerwelle (ja, bei Lilly’s Frisierstübchen kriegt man so was noch für’n Appel und ’n Ei) und mausgrauer Fäden (tja, auch graue Haare gehören zu einer Frau, genauso wie Falten). Diese Frauen werden gerne von Zeitschriften wie »Vera« oder »Silke« gefunden und völlig neu gestylt. Und aus dem unterprivilegierten kleinen grauen Mäuschen, das am Rande der Gesellschaft vor sich hin vegetiert, wird eine Femme fatale der Superklasse. Die Haare plötzlich rot, dazu passend der Lippenstift, und der Hosenanzug! Der kaschiert! Obwohl er eigentlich gar nichts kaschieren müsste!!! Man ist bei der Ansicht der Fotos der festen Überzeugung, dass es sich bei Sieglinde aus Dortelweil um Carmen aus Düsseldorf handelt. Und die ist nicht beim AKTIV -Markt in der Bilanzbuchhaltung beschäftigt, sondern Brokerin an der Börse. Diese Frauen stehen ihren Mann! Sie wissen, was sie wollen!
    Ich bin so selbstbewusst, dass ich wie ein Haudegen durch die Straßen rase. Kopf hoch, Brust raus! Komme, was da wolle! Eine Gruppe feierabend-alkoholgeschwängerter Bauarbeiter schreckt demütig vier Schritte zurück, als ich im Sturmschritt an Edes Kiosk vorbeitrabe. Mit Sicherheit glauben sie, ich könnte ihre Bierflaschen mit dem Augenlid öffnen!
     
    Pünktlich zu Kursbeginn, nein, einige Minuten früher sogar, stehe ich vor der Schule, einem verbauten Gebäude aus den 60 er Jahren. Über dem Eingang verkündet ein Schild: »Non scholae sed vitae discimus.« Gut. Von mir aus. Der Kurs findet im zweiten Stock statt und ich finde den Raum sofort. Öffentliche Gebäude haben immer solch einen unvergleichlichen Geruch. Eine Mischung aus Bohnerwachs, Kloputzmittel und Schweiß.
    Oh, es sind offensichtlich schon Leute da. Hoffentlich kriege ich noch einen Platz für mich alleine. Ich HASSE es, mich neben fremde Menschen auf eine Zweierbank zu setzen. Man ist gezwungen, sich zu unterhalten oder zumindest dümmlich anzugrinsen. Ein stilles »Guten Abend« murmelnd, haste ich durch den Raum, ohne mir die darin befindlichen Personen anzusehen. Zum Glück ist ganz hinten noch ein freies Bänkchen. Schnell hinsetzen.
    Niemand spricht. Man hört nur ab und an ein verlegenes Räuspern. Jemand putzt sich die Nase, woraufhin meine anfängt zu laufen. Natürlich habe ich kein Taschentuch dabei und versuche, die Nase nicht hörbar hochzuziehen, was mir aber misslingt. Zwei Leute räuspern sich daraufhin. Die Situation ist entsetzlich angespannt. Hoffentlich kommt Chantal Döppler gleich.
    Laute, dominante Schritte im Flur kündigen die Kursleiterin an. Ich erwarte eine Frau in einem dunkelblauen Kostüm und einer weißen Bluse, die Haare in einem strengen Knoten zusammengefasst und die schlanken, durchtrainierten Beine auf High Heels aufgepflockt. Verängstigt schaue ich auf die Tür. Irgendjemand kommt herein und sagt »Guten Abend miteinander!«, aber kein Mensch ist zu sehen. Stattdessen fliegt von unter dem Lehrerpult eine Tasche auf den Tisch. Sind wir hier bei David Copperfield? Wo ist Chantal Döppler?
    Ein Zwergenmensch hüpft plötzlich auf das Pult und macht es sich im Schneidersitz bequem. Ich erstarre. Chantal Döppler ist kleiner als 1 Meter 20 . Ich frage mich, wie sie es geschafft hat, ihre Aktentasche zu tragen, ohne zusammenzubrechen. Unauffällig blicke ich auf die anderen Kursteilnehmer. Die scheinen das

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