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Fremd küssen. Roman

Fremd küssen. Roman

Titel: Fremd küssen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi von Wolff
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»Sind dir schon mal welche eingegangen???«
    Herrje, natürlich sind mir schon welche eingegangen. Das ist doch ganz normal. Oder nicht? Oder doch? Letztendlich gebe ich krächzend zu, dass mal eine Yucca-Palme ihren Geist aufgegeben hat (ich hatte die Dosierungsanleitung auf der Düngerflasche nicht beachtet und die Palme quasi überdüngt), und auch ein Kaktus hat das Zeitliche gesegnet (zu viel Wasser, zu viel Wasser … ). Aber das kann doch vorkommen.
    Chantal Döppler sieht das anders. »Na, da haben wir es doch! Wer Pflanzen sterben lässt, ist ein Egoist. Ein Mensch, der sich selbst am nächsten ist und denkt, Pflanzen hätten kein Eigenleben. Das sollte sich ändern. Wir müssen gemeinsam in dich gehen und dir die böse Ader aus der Seele treiben! Und damit fangen wir jetzt an!« Sie springt vom Tisch und saust an einen Schrank, aus dem sie einen 20 Zentimeter hohen Ficus benjamini holt. Die Blätter hängen dunkelbraun und vertrocknet an den Seiten herunter. »Diiiiiiese Pflanze braucht Liebe!«, brüllt Chantal Döppler. » DU wirst diese Pflanze mitnehmen und anfangen zu lieben. Und in einer Woche kommst du wieder mit ihr und dann will ich neue Triebe sprießen sehen! Ist das klar? IST DAS KLAR ???«, fährt sie mich an, nachdem ich nicht sofort geantwortet habe. Ich nicke. Das stimmt Chantal gnädig. »Wir werden das schon hinkriegen. Nur wer andere liebt, kann sich selbst lieben und selbstbewusst auftreten! Setz dich wieder hin! Karin!«
    Eine Frau Ende dreißig schleicht mit gesenktem Blick an mir vorbei nach vorne, als ich mich auf meinen Platz zurückbegebe. Den Ficus stelle ich vor mich. Die Erde im Topf ist so trocken, dass man jemandem damit den Schädel einschlagen könnte. Ich überlege mir, dass ich eigentlich einfach heimlich eine neue Pflanze kaufen könnte, aber ich bekomme panische Angst bei dem Gedanken, was Chantal Döppler mit mir macht, wenn sie den Betrug bemerkt. Sicher muss ich dann in der nächsten Woche einen Tschador anziehen und werde von der Gruppe öffentlich gesteinigt. Oder ausgepeitscht. Oder beides. Ich bin verzweifelt.
    Derweil findet am Lehrerpult eine Art Rollenspiel zwischen Chantal und Karin statt. Chantal behauptet, Karin habe angeborene Schuldgefühle und leide unter Liebesentzug und diese Defizite müssten sofort ausgemerzt werden. Sie beschimpft Karin mit bösen Worten und diese soll so tun, als ob ihr das alles nichts ausmacht. Es macht ihr aber etwas aus, mit offenem Mund fängt sie plötzlich laut an zu heulen. Die Tränen schießen wie Wasserfälle aus ihren Augen heraus. Die Gruppe lacht Karin aus, und diese heult noch mehr. Es reicht. Es reicht wirklich. Ich halte es hier keine zwei Sekunden mehr aus. Ich erhebe mich und sage: »Entschuldigung, aber ich habe meine Wohnungstür offen gelassen« und renne aus dem Raum. Vor der Tür atme ich aus. Ich muss sofort an die frische Luft. Und den Ficus habe ich auch vergessen.
     
    Langsam verlasse ich das Volkshochschulgebäude und setze mich davor auf die große Sandsteintreppe. So was Dämliches habe ich ja noch nie erlebt. Zoe Hartenstein muss völlig verrückt sein, Chantal zur Freundin zu haben. Aber das ist nicht meine Sache. Plötzlich fällt ein Schatten in den Schein der Laterne. Ich schreie auf vor Schreck und blicke nach oben. Vor mir steht ein zwei Meter großer Mann. Er ist komplett in schwarzes Leder gekleidet, und was man von seiner Haut sieht, ist tätowiert. An den Fingern seiner rechten Hand befinden sich Schlagringe. In der anderen Hand hält er eine Hundeleine. Sicher will er mich damit jetzt erdrosseln. Dann wird er meinen leblosen Körper zerteilen und entweder vergraben oder im Main verschwinden lassen. Sicher werden die Fische sich freuen. Ich werde meine Freunde, meine Kollegen, meine Familie nie wieder sehen. Das ist das Ende. Bitte, lieber Gott, mach, dass er mich schnell umbringt und nicht langsam. Ich habe mal irgendwo gelesen, dass jeder Mensch, egal, wie er stirbt, glücklich stirbt, weil der Körper irgendwie ganz zum Schluss Endorphine ausschüttet. Wenn ich also an keinen Sadisten geraten bin, der seine Opfer langsam zu Tode quält, könnte alles ganz schnell vorbei und ich sogar zum Schluss noch fröhlich sein. Aber ich will nicht sterben. Ich will nicht sterben, ich will nicht …
    »Dead or alive!«, brüllt der Mann.
    »Ich will leben«, antworte ich wimmernd.
    »Dead or alive!!!«
    »Bitte, bitte, ich bin zu jung zum Sterben!«
    »Sie meine ich doch gar nicht!«, fährt er mich

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