Fremd küssen. Roman
doch bloß zu Hause eine Pizza bestellt.
»Egal«, sage ich.
»Was is EGAL ? Wo steht das auf Karte? Han mir nigt in An-ge-bot!!!« Die Autos hinter mir hupen inzwischen ununterbrochen. »Ich nehme irgendwas. Was da gerade liegt. Es ist egal.«
Drei Kinder fangen an, sich direkt hinter der Gegensprechanlage lautstark zu streiten. Es geht darum, dass Sven zur Astrid gesagt hat, SIE würde sich nicht trauen, auf der Rutsche zu rutschen, aber Benno traut es ihr doch zu und jetzt wetten alle, wer sich was traut, und streiten sich dabei. Der Mann aus Afrika schreit permanent in die Anlage, aber ich verstehe nichts. Irgendwann fahre ich einfach weiter (stiegen da nicht eben hinter mir überforderte Familienväter aus ihren Autos, die das Brüllen ihrer hungrigen Kinder nicht mehr ertragen und mich dafür verantwortlich machen wollen?).
An der Kasse halte ich wieder an. Meine Felgen, meine Felgen. Der Ostafrikaner blickt mich unter seiner Kappe hasserfüllt an. Seine Augen glitzern dabei. Bestimmt ist er ein Massaikrieger und nur mal eben auf der Durchreise. Sicher muss ich zur Strafe in der Serengeti ohne Zelt übernachten. Ganz auf mich allein gestellt. Und wenn ich all die hungrigen Löwen erfolgreich vertrieben habe, gelte ich als kluge weiße Frau und darf mich in Form eines Fruchtbarkeitstanzes im Dorf schwängern lassen. Eine gute Idee. Endlich mal wieder Sex. Der Krieger schreit aber nur: »Magt Bestellung funf Öro funfundfunfzsch.« Obwohl ich ja eigentlich gar nichts bestellt habe. Ich gebe ihm zwanzig Euro und traue mich nicht, aufs Wechselgeld zu warten. Bestimmt bohrt er mir dann einen Giftpfeil in den Arm. Am nächsten Schalter bekomme ich eine Tüte ins Auto geworfen. Hundert Meter weiter halte ich an.
In der Tüte befinden sich sechs Chicken McNuggets mit Currysoße.
Ganz sicher, ganz sicher hat der Krieger es nur gut gemeint.
Im Hausflur empfängt mich Frau Eichner. Sie ist gerade »auf dem Sprung«. »Na, wo geht es denn hin?«, will ich wissen. Frau Eichner freut sich, dass ich frage, sie liebt es, alles aus ihrem Leben zu erzählen (hätte mir auch, ohne dass ich frage, alles erzählt). »Ei, isch geh in ere Seniorengrupp, wo sisch demit beschäftische tut, die Mythen von Schottland zu erforsche«, frohlockt sie. »Un in de Walpurgisnacht wolle mer uns wie im Middelalder verkleide un dann gehn mer uff de Johannisbersch un danze um eren Steinkreis. Dadebei rufe mer gälische Sprüch!« Ah ja. Bitte. Gern. Ich winke Ihnen dann, Frau
Eichner, wenn Sie auf einem Besenstiel an mir vorbeisausen. Frau Eichner jedenfalls ist glücklich und saust zu ihren Hexen von dannen.
Ich habe zehn Nachrichten auf meinem Anrufbeantworter. ZEHN ! Das gab es noch nie! Nervös drücke ich auf den Wiedergabeknopf. »Piiiie-arrr-iiiiep-bröööö.« Jemand hat dreimal hintereinander versucht, auf die falsche Nummer ein Fax zu schicken. Der vierte Anruf ist von Susanne. Sie weint am Telefon, man kann sie kaum verstehen. Ich höre nur etwas wie: »Frechheit, so gemein, nicht mit mir schlafen, hattest Recht, vögeln, immer nur arbeiten, keine Zeit, Schmuck, Auto« und so weiter (jetzt muss ich sie nachher anrufen, ach, menno). Anruf Nummer fünf ist meine Mutter, die mir mitteilt, dass körniger Löwensenf bei Tengelmann momentan im Angebot ist. Die 300 -ml-Tube für 1 , 39 . Ein wahres Schnäppchen. Das macht sie extra. Sie weiß, dass ich Löwensenf hasse. Anruf Nummer sechs ist sehr interessant: Die Videofilmproduktion »NewStyle« möchte mich als Synchronsprecherin casten. Es geht um die Sprecherrolle der weiblichen Hauptdarstellerin! He! He! Bestimmt eine amerikanische Filmproduktion. Vielleicht Steven Spielberg. Vielleicht Wolfgang Petersen. Und das mir! Gut, dass ich damals meine Sprechproben an alle möglichen Studios geschickt habe. Anruf Nummer sieben ist wieder ein Fax. Anruf Nummer acht ist Pitbull, der wissen will, ob ich weiß, wo Dead or alive schon wieder steckt (bestimmt auf ’ner Markise). Anruf Nummer neun: Tom, der mich fragt, ob ich Lust habe, am kommenden Wochenende mit ihm eine Fetischparty zu besuchen, damit ich schon mal einen Einblick in die Szene bekomme. Anruf Nummer zehn: mein Vermieter, der mir die Wohnung wegen Eigenbedarf kündigt. Die schriftliche Kündigung hat er versucht, mir vorab zu faxen, aber erfolglos. Deswegen schickt er morgen ein Einschreiben mit Rückschein raus.
Ich muss mich erst mal setzen. Ich werde obdachlos! Hat jemand einen Krumen Brot für mich?
Erst mal Gero
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