Fremd küssen. Roman
Sache kommen wollen und gemeint, er sei superpotent. Ich fasse es nicht. »Moment«, sage ich zu Susanne. Ich schließe die Tür. »Und, wie habt ihr es getrieben?«, frage ich. »Nun sag schon.« Treiben sei wohl das falsche Wort, so Susanne. Er habe Jahre gebraucht, um sich ein Kondom überzustreifen, während sie, Susanne, auf dem Hotelbett gelegen und gewartet habe. Sein einziger Kommentar sei gewesen: »Na, so knackfrisch bist du aber auch nicht mehr«, und drei Minuten später sei alles zu Ende gewesen.
»Und dafür hast du vierhundert Euro bezahlt?« Ich glaube, ich spinne. »Ja, und das Hotel!«, sagt Susanne. »Und jetzt … und jetzt … und jetzt bin ich noch unglücklicher als vorher. Ich habe Michael betrogen. O GOTT !!!«
»Er muss es doch gar nicht erfahren«, beruhige ich sie. »Sag es halt sonst niemandem und vergiss die ganze Sache so schnell wie möglich.«
»Du bist schuld«, plärrt Susanne. »Hättest du nicht zu mir gesagt, dass ich mal wieder Sex bräuchte, wäre es nie dazu gekommen. NIE , NIE , NIE !«
Ah ja. Ich bin also mal wieder schuld. Na prima. Habe ich mit EINEM Wort erwähnt, dass Susanne bei einem Callboy anrufen soll? Habe ich? Nein. Aber das ist natürlich die einfachste Lösung. Wenn ich irgendwann mal zu irgendjemandem sage, dass ich seinen langsamen Fahrstil Scheiße finde, bin ich dann wahrscheinlich schuld, wenn er mit 280 im Wohngebiet geblitzt wird und drei Monate den Führerschein abgenommen bekommt. Eine unproblematische Schuldverschiebung, die noch nicht mal Geld kostet. Ich habe keine Nerven mehr, mich mit Susanne auseinander zu setzen. Ich sage, dass ich ein Meeting hätte, und beende das Gespräch. Da fällt mir ein, dass vor zehn Minuten wirklich ein Meeting begonnen hat. Ich hasse es, zu spät in solche Besprechungen zu kommen. Obwohl sie immer so was von unwichtig sind.
Um 16 Uhr rufe ich bei dieser Videofilmproduktion »NewStyle« an. Die Dame am Empfang weiß gleich, um was es geht, und fragt, ob es mir denn möglich wäre, noch am gleichen Abend vorbeizukommen. Da wäre auch der Synchronsprecher für die männliche Hauptrolle da, und dann könnten wir doch zusammen gecastet werden. Ich habe nichts vor heute Abend, also sage ich zu und mache einen Termin für 19 Uhr aus.
Jaja, ich bin sogar pünktlich. Auf dem Empfangstisch steht ein Schild, das mir erklärt, dass Frau Hannelore Ihlenfeldt hier sitzt. Kann sie nicht sprechen und ihren Namen selbst sagen? Egal. Sie bittet mich, noch einige Minuten Platz zu nehmen, der Herr Steiger käme dann und würde mich abholen. Ich lese ein bisschen in der Bunten und erfahren, dass Mette-Marit, die Frau von Norwegens Kronprinz Håkon, jetzt mit ihrer ungezwungenen, modischen Art endgültig in Depressionen versunken ist. Eine ganzseitige Anzeige weist mich darauf hin, dass, wenn man die Anti-Fett-Kapseln »Lubarin« regelmäßig schluckt, der Körper das Fett sofort abstößt und man in weniger als drei Tagen seine Traumfigur hat. Das heißt also, man kann essen, was man will, der Körper stößt das Fett ab. Heimlich reiße ich mir die Anzeige aus der Zeitung raus. Sofort hole ich mir Lubarin-Anti-Fett-Kapseln.
Ah, da kommt ja der Herr Steiger. Jovial schüttelt er mir die Hand und bittet mich ins Tonstudio. Dort sitzt außer zwei genervten Technikern auch ein 1 , 50 m großer Mann mit Hornbrille. Er hat Hochwasserhosen an und weiße Tennissocken. Apart. Herr Steiger macht uns bekannt und ich erfahre, dass er Rüdiger heißt und ein prima Sprecher ist. Dann drückt er uns die Manuskripte in die Hand. Ich überfliege den Text: Szene 3 , Küche, sie auf dem Tisch liegend, Beine gespreizt. Er dringt langsam in sie ein. O-Ton Frau: Jaaaa, du geiler Kerl, fester, stoß mich, gib’s mir, jaaaa, jaaaa. Er: Dich fick ich durch, dir besorg ich es, mmmmh, mmmmh, gleich kommt’s mir, uuuuuh.
Ein Porno. Niemand hat mir vorher gesagt, um was es geht. Nun weiß ich es. Ein Porno. O Mann. Und der kleine Pimpf da neben mir soll diesen Ein-Meter-neunzig-Typen synchronisieren, der sein Leben damit zu verbringen scheint, Anabolika zu schlucken.
Ich kann doch keinen Porno synchronisieren. Oder doch? Ich traue mich nicht zu gehen, deshalb warte ich einfach mal ab, wie das so wird jetzt.
Fünf Minuten später sitze ich mit Rüdiger in der Sprecherkabine. Vor uns ein überdimensionaler Fernsehapparat. Wir müssen uns die einzelnen Szenen, die synchronisiert werden sollen, vorher drei- bis viermal anschauen. Auf dem Bildschirm
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