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Fremd küssen. Roman

Fremd küssen. Roman

Titel: Fremd küssen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi von Wolff
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»Prelisten«, Vorhören neuer Titel, »End«, das Ende des alten Titels vorhören. Achtung, gute Blenden fahren (also Übergänge), die Trailer nicht vergessen, Mikro einpegeln mit »Gain«, »Cart Assist« für Jingles und Unterlegmusiken, » CD -Player 1 selektieren«, o nein, o nein. Der Nachrichtenmensch kommt ins Studio, sieben Sekunden vor den Nachrichten muss das Nachrichtenjingle gestartet werden, damit der Sprecher im Jingle dann auch um Punkt neun »Punkt neun« sagt. Oh, der Nachrichtenmann braucht ja auch ein Mikrophon. Schnell selektieren. Punkt neun. Geschafft. Blablabla, News, Sport. Schweigen. Er sieht mich fragend an. Ich sage on air: »Warum schaust du mich denn an?« Er: »Wenn du bitte das Wetter-Jingle starten würdest!« Ach so, das muss ich ja machen. »Punkt wettert.« Wolkig, bald sonnig, blablabla. Hurra, ich schaffe es, den Showopener zu starten. »Dsssssssch, Easy-radio mit Carolin Schatz, schönen guten Morgen.« »On Air 1 « aktivieren. Musik! Uff. Erst mal geschafft.
    He – geht doch. Ist wie Autofahren. Nach zehn Minuten bin ich so locker, dass es richtig Spaß macht. Veranstaltungstipps, Entertainment-Report, ein Interview mit einer Frau, die Fleisch-Pommes-frites erfunden hat, und, und, und. Ruck, zuck ist es zehn Uhr, die Nachrichten klappen auch und sogar Wolfgang kommt zwischen zwei Titeln ins Studio und sagt, ich würde das großartig machen. Ich bin richtig stolz auf mich.
     
    Um zwanzig nach zehn möchte ich nicht mehr leben.
    Nini, meine Redakteurin, kommt mit den Studiogästen. Ich sagte es bereits, eine Band, deren Name übersetzt so was wie »Die geladenen Bettnässer« heißt. Es sind fünf Männer, die mit Sicherheit drei Viertel ihres Lebens im Gefängnis verbracht haben. Bestimmt ist auch der eine oder andere zum Tode verurteilt worden, konnte aber fliehen und hat sich einer Gesichtsoperation unterzogen und einen anderen Namen zugelegt. Das Wort »Waschen« hat keiner jemals gehört. Die Haare glänzen wie Speckschwarten. Einer hat eine Kalaschnikow dabei. Ein anderer ein Beil. Das sei Equipment, erklärt mir Nini. Dies würde zur Promotour dazugehören (ich hoffe nur, dass zur Promotour nicht auch das Töten der einen oder anderen Moderatorin dazugehört). »Hello«, sage ich schüchtern und hoffe, dass niemand mir die Hand schütteln möchte, um mir dann gleichzeitig ein paar Finger abzuhacken. »What’s going on, hej hej … «, brüllt eines der Bandmitglieder. Ein anderer öffnet sich lautstark eine Dose Bier, die er vorher noch kurz schüttelt. Der Schaum spritzt in einem Umkreis von acht Metern herum. Wir dürfen im Studio im Technikbereich nichts trinken und essen, weil das eventuell einen Schaden von mehreren hunderttausend Euro verursachen könnte. Nur mal so am Rande erwähnt. Nini reicht mir einige Blätter mit Infos über die Band. Auf Englisch. Danke.
    Es ist nicht möglich, ein Vorgespräch mit den »Geladenen Bettnässern« zu führen, weil alle durcheinander brüllen. Und wir haben noch vierzig Sekunden. Noch dreißig. Zwanzig. Zehn. Null. »Hallo, heute zu Gast die ›Loading Bedwets‹. Hello«, rufe ich euphorisch, um die Hörer glauben zu machen, ich würde mich über die Anwesenheit dieser gescheiterten Existenzen freuen. Ein gruppendynamisches Rülpsen ist die Antwort. »Em, em, let us talk about your new album«, ist meine Einstiegsfrage. »You are a bitch, motherfucker bitch you are, yeah, yeah!« Es ist der Sträfling, der das Bier verschüttet hat. Ich lasse das mal so stehen.
    Das erste Mal in meinem Leben bin ich froh, dass Interviewtakes nicht länger als zweieinhalb Minuten dauern dürfen. Normalerweise überziehe ich immer. Diesmal mach ich nach 1 ’ 30 Schluss. Es ist sowieso sinnlos. Diese Menschen haben Drogen und Alkohol für acht Jahre in ihren Körpern gebunkert. Und einer furzt ständig. Mir wird ganz schlecht. Davon mal ganz abgesehen verstehe ich kein Wort von dem, was sie von sich geben.
    Im zweiten (und Gott sei Dank letzten) Interviewtake sollen die geladenen Bettnässer unplugged was spielen. Sören, der Techniker, hat bereits alles verkabelt. Es könnte einfach losgehen, bitte, aber nach dem Anschluss der Instrumente stellen wir fest, dass eines der Bandmitglieder einfach irgendein Instrumentenkabel in eine falsche Steckdose gesteckt hat (die normalen sind grün, alle anderen, die wir NICHT benutzen sollen, sind weiß). Im nächsten Moment ist Totenstille im Studio. Alles abgestürzt. Unplugged, sozusagen. Haha. Nichts

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