Fremd küssen. Roman
Pitbull Lola losgeeist und setzt sie in ihr Terrarium zurück, in dem fünf Mäuse zitternd ihrem Ende entgegensehen. Ich mag gar nicht hinschauen.
»Also«, fängt Pinki an, nachdem er mehrere Weinflaschen aus einer Plastiktüte geholt hat. »Wir können uns am Freitag in der Erichstraße die Räumlichkeiten anschauen. War wie gesagt ’ne Kneipe mit sieben oder acht Gästezimmern, so ’ne Art Pension. Ziemlich runtergekommen, muss viel renoviert werden, dafür ist aber die Pacht günstig. Die Umbaukosten übernimmt zum Teil auch der Vermieter. Das ist der Freund von der Freundin der Bekannten … «
»Jaja«, unterbricht ihn Pitbull. »Ab wann kann man da loslegen? Ist das ein Wohngebiet? Welche Genehmigungen braucht man?« »Also so was Undankbares!«, zetert Pinki los. »Ich renn mir hier die Hacken ab und du stellst nur noch mehr Forderungen. Pass Acht, pass Acht!« Er hebt drohend die Faust. Nein, bitte keine Prügelei. Aber Pitbull ist ganz zahm und meint, dass er es nicht so gemeint hätte. Danke, danke. Während wir Wein trinken, rechnen wir noch mal durch, welches Geld wir für was ausgeben wollen. Die SPAR bank gibt uns einen Kredit von 200 000 Euro. Damit muss nicht nur der Laden eingerichtet werden, nein, auch Personal bezahlt und die anfängliche eventuelle Durststrecke überwunden werden. Über Öffnungszeiten und so muss man dann auch noch nachdenken, meint Pitbull. Er ist sowieso dafür, am Anfang erst mal kein Personal einzustellen, sondern selbst vor Ort zu sein. Ich werfe ein, dass ich ja tagsüber auch arbeiten muss, aber Pitbull meint, das würden wir schon hinkriegen. Dann ruft er den Vermieter (oder den Freund der Freundin des Vermieters, der die Tante kennt, die eine Cousine hat) an und macht einen Besichtigungstermin für Freitagabend aus. Ach ja, und Werbung müssen wir auch machen für den Laden. Das muss richtig krachen. Wir könnten doch auch bei uns im Sender Funkspots schalten, meint er. Ich habe meine fristlose Kündigung schon vor Augen.
»Erst mal gehen wir da hin, schauen uns das Ding an und dann sehen wir weiter!«, spricht Pitbull. Damit ist das Thema für heute gegessen. Apropos Essen. Jetzt wird erst mal Pizza bestellt. Ich werfe ein, dass ich nur einen Meeresfrüchtesalat möchte, da ich ein bisschen auf meine Figur achten will. Pitbull grölt: »Wie willst du auf deine Figur achten, wenn keine vorhanden ist?« Danke. Der Abend ist für mich gelaufen. Ich esse nie wieder was. Nie wieder. Bis ich magersüchtig bin. Herrlich, die Vorstellung, in einer Boutique nach einem Kleid in meiner Größe zu suchen und nichts zu finden. Und dann schüttelt die Verkäuferin bedauernd den Kopf und sagt: »Schade, aber wir führen erst ab Größe 34 … «
Weil mir das eh nie passieren wird, bestelle ich Pasta mista und Pizzabrot. Wennschon, dennschon. Ich kann ja was übrig lassen (ich lasse NIE was übrig).
Pinki fährt mich später auf seiner Harley-Davidson nach Hause. Er nimmt die Kurven so knapp, dass die Fußpedale auf den Asphalt aufkommen und es Funken schlägt. Lieber fünf Lolas am Bein, aber nie wieder so eine Motorradfahrt.
Vor meinem Haus befindet sich eine Menschenmenge. Ich bekomme Angst. Brennt es? Ist jemand gestorben? Ist was mit Richard? O Gott! Alle blicken nach oben, ich tue es ihnen nach. Auf dem Dachfirst steht Frau Eichner mit Kopftuch und einem Besenstiel zwischen den Beinen. Sie singt irgendein Lied. Wahrscheinlich irgendwas Gälisches. O nein. Ich frage Herrn Tschenscher aus dem Erdgeschoss, was das alles zu bedeuten hat. »Sie wartet auf ein Ufo, das sie in eine bessere Welt bringt«, flüstert er. »Aber
das Ufo will und will nicht kommen.«
»Wieso möchte sie denn mit einem Ufo in eine bessere Welt?«, flüstere ich zurück.
»Sie meint, während einer ihrer Gruppenstunden hätte eine Teilnehmerin plötzlich diese innere Eingebung gehabt und hätte gesagt, alle sollten nach Hause gehen, sich auf die Dächer stellen und auf das Ufo warten.« Aha. Das heißt, dass in der kompletten Stadt gerade irgendwelche älteren Frauen mit Hexenbesen auf Hausdächern stehen. Na, da hat die Lokalpresse ja morgen wenigstens einen guten Aufmacher! Da vorne ist ja Richard. Er ist fix und fertig. »Sie lässt nicht mit sich reden«, meint er. Er wäre schon oben gewesen, aber sie hätte ihn fortgejagt. »Auf dem Dach gibt es auch einiges zu reparieren«, sagt Richard. Er will sich gleich morgen mal drum kümmern. Auf dem Dach fängt Frau Eichner wieder an zu
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