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Fremd küssen. Roman

Fremd küssen. Roman

Titel: Fremd küssen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi von Wolff
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der Auffassung, dass ich schon längst zum Mörder mutiert wäre, wenn ich den Kurs komplett absolviert hätte. Bestimmt würde ich nach meiner Haftbuße in sämtlichen Talkshows sitzen und hinter einer Trennwand mit verzerrter Stimme von meiner schweren Kindheit erzählen und mich dafür rechtfertigen, warum ich den Kegelclub »Hinterklemm«, der im Café Wasweißich eingekehrt ist, mit einer gestohlenen Schrotflinte durchlöchert habe.
     
    Ich erzähle Zoe von meiner Idee. Sie ist begeistert! »Isch und mein Mann sin schon lange Swinger. Dann müsse mer net mehr so weit fahren und de Kurt kann dann auch mal was trinken«, verrät sie mir zwinkernd. Meine Angst, dass ich in der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert werde, wischt sie mit einer Handbewegung zur Seite. Ich sollte doch nur mal in die Fernsehzeitung schauen. Was auf RTL II abends ab zehn gesendet würde. Und welche Einschaltquoten die hätten. »Sex«, sagt sie, »is ein Thema, das immer gut läuft.« Na ja, klingt irgendwie einleuchtend. Auch meine Frage, ob sie einige Frauen kennt, die abends bei uns arbeiten könnten, bejaht sie sofort. »Die Babsi, die Mausi, die Bonnie und ganz bestimmt auch die Nancy.« Hab ich es nicht gleich gesagt? Die Mausi käme jetzt gleich zum Sonnen und zur Fingernagelverlängerung, die könnten wir dann fragen. Ich freue mich und trinke ein Piccolöchen. Bezahlen darf ich nicht, Zoe ist ganz entrüstet. Der geht aufs Haus!
    Dann kommt »die Mausi«, das heißt, sie versucht hereinzukommen, kriegt aber die Tür nicht auf, weil sie sie mit dem Ellbogen öffnen muss, da ihre Fingernägel einen Meter lang sind. Ich helfe ihr. »Schau nur, Zoe!«, ruft die Mausi. »Wie ich aussehe!« Anklagend hält sie ihr die Hände vor das Gesicht. Ich springe schnell zur Seite, aus Angst, bis zur Unkenntlichkeit von diesen Baggerschaufeln zerkratzt zu werden. Zoe tätschelt der Mausi beruhigend den Arm. »Des krische mer schon hin! Die müsse verlängert wern. Mache mer gleisch.« Sie deutet auf mich. »Des is die Carolin, Mausi. Die mäscht mit erem Kollesch en Bumsclub aaf und braacht Personal.« Wenn Zoe aufgeregt ist, fängt sie offensichtlich an, noch extremer hessisch zu reden. Mausi dreht sich ruckartig zu mir um. Ihre miniplidauergewellten Haare wippen dabei wie die von Marge Simpson.
    »Das ist ja geilcool«, brabbelt sie los. »Das hat in Watzelborn gefehlt. Du siehst gar nicht aus wie so jemand. Eher wie ’ne Lehrerin oder so.« Meint sie jetzt damit, dass ich aussehe, als hätte ich mal studiert, oder wirke ich verknöchert und altjüngferlich? Aber ich frage nicht, sondern zucke nur mit den Schultern und sage: »Ähem. Na ja, wenn du meinst … «
    »Wann, wie, wo?«, will Mausi wissen. Und was wir die Stunde bezahlen würden.
    Nach zehn Minuten bin ich fix und alle. In jedem Satz kommt »geilcool« vor. Oder: »Äääächt?« Mausi passt ins Happy-Sun-Sonnenstudio wie die Faust aufs Auge. Sie will auch Särah und Claire und Florence und Naddel anrufen und fragen. Naddel? Na, meint sie, das wäre ihre Freundin und die hätte Haare wie die Naddel von Dieter Bohlen. Also auch braun. Ich habe auch braune Haare, aber trotzdem nennt mich niemand Verona.
    Während sie sich ihre ein Meter langen Nägel auf einen Meter fünfzig verlängern lässt, erzählt sie mir, was sie so macht. Sie ist Fleischereifachverkäuferin bei einer großen Lebensmittelkette und findet ihren Job furchtbar, was ich unschwer nachvollziehen kann.
    »Im Winter ist es ganz schlimm«, sagt Mausi, die eigentlich Klara heißt. »Man geht morgens aus dem Haus und es ist dunkel und man kommt abends heim und es ist schon wieder dunkel. Das ist doch kein Leben nicht.« Ich pflichte ihr bei. »Und den ganzen lieben langen Tag nur Wurst. Wurst. Wurst. Oder Fleisch. Fleisch. Fleisch. Kennst du Gelbwurst?« Ich nicke. Mausi holt Luft. »Hast du schon mal
    Gelbwurst gegessen?« Ich will lügen, nicke aber wieder. »Ooooohhhh, mein Gooootttt!«, kreischt sie. »Du hast totes Hirn gegessen! Gelbwurst wird aus Hirn gemacht. Und aus lauter Abfällen von der Fleischverarbeitung. Da kommt alles rein! Alles! Die Hufe, die Schwänze, die Augen, die Scheiße, der Magen … alles! In Gelbwurst ist sogar Desinfektionsmittel drin und Zigarettenkippen, weil alles, was auf dem Boden gelegen hat in der Schlachterei, einfach in einen Bottich gekippt wird!«
    Gelbwurst sieht doch ganz harmlos aus. Genauso harmlos wie dieser Frischwurstaufschnitt mit den lachenden Gesichtern. Ich weigere mich

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