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Fremd küssen. Roman

Fremd küssen. Roman

Titel: Fremd küssen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi von Wolff
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schauen.
    Die Bahn stoppt. Einfach so. Ich drehe mich zu Gero um. Er sieht genauso ratlos aus wie ich. Marwin schaut mich an. Seine Augen sind so groß wie die von Harry Potter, nachdem er gemerkt hat, dass er auf einem Besen reiten kann. Tom will aufstehen, aber Gero meint, dass er das besser lassen soll. Im nächsten Augenblick gibt es einen Schlag und die Bahn rast rückwärts nach unten. Wir brüllen vor lauter Angst. Die Leute, die im nächsten Waggon gerade rauffahren, auch. Kurz bevor wir kollidieren, kommt alles wieder zum Stoppen. »Wie bei Titanic, Caro, wie bei Titanic!«, ruft Gero. »Wir werden alle sterben. O nein. Weißt du noch, Caro, das Schiff bricht auseinander und das Heck ist im Atlantik und der Bug schwimmt noch einen Moment. Tom! TOM ! Ich liebe dich! Weißt du das eigentlich? Und dich auch, Caro. Ich … «
    Bumm. Wir sausen regelrecht nach oben, so, als ob der Waggon etwas gutmachen wollte, um dann mit erhöhter Geschwindigkeit auf der anderen Seite durch das Wasser runterzurasen. Muss ich noch extra erwähnen, dass wir so ungünstig sitzen, dass alle von oben bis unten nass werden? Am Ausgang kauft Gero das Foto, das eine automatische Kamera von uns gemacht hat. Man sieht zu Zombies mutierte Gestalten, die ihre Münder weit aufreißen. Gero meint, so etwas müsste man archivieren.
     
    Es ist ein wunderbarer Tag, trotzdem bin ich abends k.o. Gegen 22 Uhr sind wir zu Hause und ich möchte nur noch schlafen. Aber die Kinder verlangen Tee, Geschichten, bei denen man sich gruselt, und Vanillepudding. Sie sind übermüdet und giftig. Auf dem Sofa wollen sie auch nicht schlafen, sondern mit mir im Barbiebett, wie Tessa es nennt (erwähnte ich schon, dass es rosa ist?). Vor dem Einschlafen muss ich von einem Tyrannosaurus Rex erzählen, der andere Dinosaurier durch Wälder jagt, um sie dann zu fressen, woraufhin Marwin anfängt, laut zu heulen. Ich bekomme ein entsetzlich schlechtes Gewissen. Nicht auszudenken, wenn Alex die Kinder morgen fragt, wie es war, und Marwin erzählt, dass er ob meiner Geschichten vor Angst weinen musste. Ich versuche, ihn zu beruhigen, und frage, was denn los wäre, woraufhin er heulend schreit: »Du bist doof, Caro, in der Geschichte fließt ja gar kein Blut.«
    Ich kann also beruhigt weitererzählen. Nachdem der Tyrannosaurus Rex acht Brontosaurier verschlungen hatte, ist Marwin endlich eingeschlafen, aber Tessa hellwach und will Barbie im Barbiebett spielen. Also trage ich den schlafenden Marwin vorsichtig auf das Sofa und decke ihn zu. Weil eine richtige Barbie ja Schmuck trägt, muss ich meinen kompletten Schmuckkasten entleeren und Tessa und mich mit dem Inhalt behängen. Dann noch eine alte Strassjeansjacke angezogen und so getan, als würden wir auf Ken warten, der mit dem Cabrio unterwegs ist. Ich muss dann so tun, als ob Ken anruft und sagt, dass er heute nicht mehr kommt, weil er eine Reifenpanne hat, und wir nicht mehr warten müssen. Tessa besteht darauf, dass wir beide mit dem Schmuck und ich in der Strassjacke schlafe. Ich muss mich noch einmal vor ihr drehen und sie schaut mich mit großen Augen an und sagt: »Caro, du siehst so schön aus. Du bist die Glitzerbarbie.« Dann holen wir Marwin zurück ins Bett, ich lege mich in die Mitte, erzähle Tessa flüsternd die Geschichte von dem Mädchen, das goldene Haare bekommt, wenn es gleich einschläft, und gegen ein Uhr morgens träumt sie endlich süß.
    Ich beobachte die beiden im Schlaf und habe den Wunsch, selbst Kinder zu haben! Was wäre ich für eine gute Mutter! Obst und Gemüse nur aus dem Ökoladen, Apfelkuchen mit Streuseln, Zimtsterne backen an Weihnachten, Ostereier bemalen und, und, und. Selbstverständlich wäre ich dann auch Elternbeiratsvorsitzende, aber hallo, und würde dafür sorgen, dass es keine asbestverseuchten Klassenzimmer gibt und dass die Toiletten regelmäßig renoviert werden. Ich kenne keine Schule, in der es irgendwann mal
neue
Toiletten gegeben hat. Schultoiletten stinken immer und sind kaputt, haben keine Deckel und die Kacheln sind gesprungen.
    Und die Wasserhähne funktionieren nie. Höchstens tröpfelt es daraus. Bei mir würde es das nicht geben. Ich als gute Mutter würde bei Klassenfahrten als Begleitperson freiwillig mitfahren, für dreißig hungrige Kinder in der Jugendherberge Kartoffelsuppe kochen und bildende Spiele organisieren. Außerdem wäre ich Helferin in allen Lebenslagen. Wenn mein Sohn vom Kirschbaum gefallen ist, habe ich Bepanthensalbe und bunte Pflaster

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