Fremd küssen. Roman
Marius Müller-Westernhagen: »Und darum bin ich froh, dass ich kein Dicker bin, denn Dicksein ist ’ne Quälerei … « Natürlich muss ich gleich wieder an meinen Marius denken … O Mann.
Die Aerobicgruppe hört auf zu tanzen, Michael Jackson wird abgestellt, sodass Westernhagen noch besser zu hören ist. Ich bemerke erst nicht, dass offensichtlich wegen mir die Musik abgestellt wurde. Erst als ich hochschaue, wird mir klar, dass alle mich anstarren, meine linkischen Bewegungen nachmachen, mitsingen und aufgrund meines dämlichen Gesichtsausdrucks schallend anfangen zu lachen.
Ich bin dann einfach gegangen.
Auf dem Weg nach Hause überlege ich mir kurz, vor ein Auto zu springen oder die Luft so lange anzuhalten, bis ich ersticke. Es ist gut, Caro, dass du keinen Vertrag abgeschlossen hast. Fitnessstudios haben Knebelverträge, angeblich schließt man für ein halbes Jahr einen Vertrag, aber in Wirklichkeit ist man an diesen Vertrag bis an sein Lebensende gebunden. In einer Zeitung stand mal, dass eine 88 -Jährige immer noch die Beiträge für ein Fitnesscenter zahlen muss, obwohl sie schon seit zehn Jahren im Rollstuhl sitzt. Insofern war alles bestimmt ein Wink des Schicksals.
Und weil es das Schicksal so gut mit mir meint, kaufe ich mir ein Eis. Die einzige Eisdiele von Watzelborn liegt auf dem Weg. Es gibt dort höchstens vier, wenn man Glück hat, fünf Sorten Eis. Aber offensichtlich hat Giuseppe vom »Dolomiti« eine neue Eissorte im Programm. Alles rund um die Eisdiele ist blau.
»Signorina Carolina Schatza, wo wie was du wolle«, empfängt er mich. Ich sage, dass ich Schokoladen- und Vanilleeis möchte, aber er weist mich auf die so genannten »Schlumpfeiswochen« hin: »Is swei Sorte Sulunfeis. Is sisch Slaubislunfeis, is dunkelblaue Eis oder du wolle Salunafine. Is sisch hellere Eis, weil Mädschen is.«
Habe ich das jetzt richtig verstanden? Es gibt bei Giuseppe Schlaubi-Schlumpf-Eis und Schlumpfine-Schlumpf-Eis? Offensichtlich ist es so, denn auf dem Glastresen stehen nur Schlaubi- und Schlumpfine-Schlümpfe herum und glotzen mich vorwurfsvoll an.
»Kriegst du vier Bällsche und mit Sonneschirmsche obbedruff!«, ruft Giuseppe euphorisch.
Na gut. Dann eben Schlumpfeis. Er schenkt mir einen Schlaubi-schlumpf, der aber nur ein Bein hat. Auf meine Frage, warum das so ist, sagt er mit betretener Stimme: »Is sisch wegen Behinderrrrrtengleichberechtigung. Alle Kunde sollen sufrieden ssssssein. Aber andere Bein schmeise mir net weg, habbe wir zu Eislöffelsche gemacht.« Dann fragt er, ob ich über das Eis »Krispelkröllsche habbe will«. Es stellt sich heraus, dass er damit Krokantstreusel meint. Immer her damit.
Das Schlumpfeis schmeckt zwar nach Lebensmittelfarbe und auch sonst nur nach Chemie, aber Hauptsache, es hat Kalorien.
16 Uhr 30 . Heute Abend kann ich bestimmt nicht weggehen. Seit einer halben Stunde versuche ich, mit einer Zahnbürste und viel Odol meiner dunkelblauen Zunge wieder ihre normale Farbe zurückzugeben, was mir aber leider nicht gelingt.
Pitbull ruft an und fragt wie der Geschäftsmann von Welt, ob ich mich um die Pressearbeit gekümmert hätte. Habe ich natürlich nicht. Ich rufe »Hallo! Hallo? Ich kann nichts verstehen, da muss was mit der Leitung nicht in Ordnung sein … « und lege schnell auf. Pitbull ruft natürlich wieder an, ich lasse den Anrufbeantworter anspringen und er quakt: »Glaubst auch, dass du mich verarschen kannst, Schatz. Von wegen die Leitung ist kaputt. Geh sofort dran!« Also gehe ich dran.
Was habe ich denn noch zu verlieren? Nichts. Nichts. Nichts. Ich gehe dann mit Pitbull ins Kino und schlafe dort ein, weil der Film so was von langweilig ist. So langweilig, dass ich mich noch nicht mal an den Namen erinnere. Brad Pitt und Robert Redford. Eigentlich beide ganz nette Kerle, wobei ich bis heute nicht verstehen kann, wieso Brad Pitt diese dünne Jennifer Aniston heiraten konnte. Sie hat ein Kinn, das spitz ist wie ein Geodreieck und unverschämt gerade, weiße Zähne. Außerdem treibt sie Sport. Verloren, Jennifer. Du würdest nie meine Freundin werden.
Bevor ich einschlafe, denke ich an Susanne. Mir fällt auf, dass ich sie vermisse. Dumme Zicke. Und in Marius bin ich immer noch verliebt. Ich wünsche Marius, dass er mich in hundert Jahren in einer Straßenbahn fahrend erblickt (ja, wie in »Doktor Schiwago«) – mich, die ich leichtfüßig, wenn auch gealtert, mit einem Kopftuch durch Moskau oder Nowosibirsk trabe –, und
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