Fremd küssen. Roman
Spurenelementen gönne. Sagt jemand zu mir: »Kommst du mit eine Pizza essen?«, werde ich nicht antworten, sondern nur die Augenbrauen verächtlich hochziehen.
Da ist ja das Fitnesscenter. Das ist aber groß. Ich gehe durch die Schwingtür und schon riecht es nach Schweiß. Gut so! Wir sind ja nicht zum Spaß hier! Hunderte von Menschen quälen sich an Folterinstrumenten herum. Das ist überhaupt
die
Idee für unseren Sadomasobereich. Festbinden an einer Sprossenwand oder so. Muss gleich nachher Tom anrufen und fragen, was der davon hält. Ich schaue mich erst mal nicht weiter um und begebe mich auf die Suche nach Jürgen.
Drei Stunden später: Ich habe keinen Vertrag unterschrieben. Grund:
Habe Jürgen gefunden ( 1 , 90 groß, Goldkettchen, Wolfgang-Petry-Frisur, am linken Ringfinger ein Siegelring, an dem ein Stein fehlt, Rolexblender, T-Shirt mit der Aufschrift »Alles Nutten außer Mami«), der mit mir durch das 500 Quadratkilometer große Center läuft und mir alles erklärt und dann meint, ich sollte mich umziehen und mit Straßenschuhen könnte man hier nicht trainieren. Auf meine schüchterne Anmerkung hin, ich hätte nichts dabei außer dem, was ich gerade trage, läuft er weg und kommt mit einer Art Radlerhose, einem hautengen Body (auberginefarben – muss ich noch mehr sagen?) und einem Paar Nichtstraßenfitnesscenterschuhen zurück. Vor dem Spiegel in der Umkleidekabine bekomme ich den blanken Horror. Meine Oberschenkel quellen aus der viel zu engen Radlerhose heraus wie überschüssige Dichtungsmasse und meine Orangenhaut ist besser zu sehen denn je. Außerdem stelle ich fest, dass ich auch Zellulitis an den Knien habe. Und an den Zehen. Wenn man es genau nimmt, habe ich ÜBERALL Zellulitis, nur nicht auf der Nase. Da habe ich Mitesser. Warum ich mich trotzdem in den Trainingsraum traue, weiß ich auch nicht mehr. Eine Minute später stehe ich auf einem Laufband und soll mich mit ein wenig Joggen aufwärmen (habe ich doch gesagt). Jürgen stellt das Band auf die niedrigste Stufe und bringt einen Pulszähler an meinem Handgelenk an, bevor er es anschaltet. Durch den Ruck falle ich aufs Maul, was die proteingestählten Hochleistungssportler, die gerade Gewichte von 120 Kilogramm stemmen, zu einem mitleidigen Lächeln animiert. Zum Glück stoppt das Gerät automatisch.
Ich kann nach fünf Minuten nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich bin krebsrot im Gesicht und unglücklicherweise kann ich jede meiner Bewegungen in den zehntausend Spiegeln beobachten. Ich komme mir vor wie eine Wurst, die oben und unten an der Pelle rausquillt. Ich
bin
eine Wurst.
Es kommt noch schlimmer. Die Aerobicgruppe betritt den Raum. Die Aerobicgruppe besteht aus zwölf Frauen in hautengen, nicht auberginefarbenen Fitnessanzügen, bei denen nichts, aber auch gar nichts herausquillt. Muss ich extra erwähnen, dass alle aussehen wie Heidi Klum oder Penelope Cruz oder das Teppichluder von Dieter Bohlen? Muss ich extra erwähnen, dass keine von ihnen einen Pickel hat? Muss ich extra erwähnen, dass bei allen die Brüste stehen wie eine Eins?
Muss ich extra erwähnen, dass ich fette Kuh mir auf meinem Laufband vorkomme wie Trude Herr? Bei der ist auch immer die Wimperntusche verlaufen, weil sie so viel geschwitzt hat. Ich erwähne auch nicht extra, dass alle, ich wiederhole, ALLE mich mit hochgezogenen Augenbrauen anstarren, grinsen, miteinander tuscheln, dann zu Michael Jacksons »Thriller« anfangen zu hopsen und mich die ganze Zeit im Spiegel weiter beobachten.
Wolfgang Petry kommt und fragt, wie es denn so geht. Ich habe keine Luft zum Antworten. Er will mit mir nach dem Probetraining
ein Fitnessprogramm ausarbeiten, denn bei mir wäre ja wohl eher Fettreduzierung nötig als Muskelaufbau. Ich bin zu schwach, um ihm eine zu knallen. Er meint, wir würden das schon hinkriegen, und geht zu einem Arnold-Schwarzenegger-Verschnitt, um ihm Gewichte an eine Stange zu hängen.
Ich bin deprimiert und unglücklich. Zu allem Überfluss läuft im Radio auch noch Beautiful South, »Song for whoever«: »Uuuuuuuh, I loved you from the bottom of my pencilcase … o Cathy, o Allison, o Philippa, o Sue, I’ll forget your name … « Das ist ein Lied für romantische Abende, die mit Kerzenschein und einem Schweinefilet in Blätterteig und einem guten Glas Weißwein beginnen und mit herrlich langem Sex enden. Klartext: Es ist kein Lied für mich. Ich laufe weiter auf meinem Laufband und fühle mich erbärmlich.
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