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Fremde am Meer

Fremde am Meer

Titel: Fremde am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Olsson
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kurzen Moment lang streiften sich unsere Körper. Er sah mich nicht an.
    »Hast du das Telefon gehört?«, fragte ich. Ich hielt meine Hände zwischen meinen Knien, damit ich nicht in Versuchung kam, ihn zu umarmen.
    Er nickte.
    »Das war deine Großmutter.«
    Er reagierte nicht.
    »Sie hat gesagt, sie will, dass du zurückkommst.«
    Verzweifelt suchte ich nach den richtigen Worten.
    »Möchtest du denn zu ihr zurück?«
    Er sagte nichts, und ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Dann erkannte ich die Spuren von Tränen, die auf seiner nackten Brust glitzerten.
    Ich schlang meine Hände umeinander und mühte mich, meine Stimme unter Kontrolle zu bekommen.
    »Ich werde mir was überlegen«, sagte ich. »Mir fällt schon etwas ein.« Ich nickte, ebenso sehr, um mir selbst wie auch ihm zu bestätigen, dass ich etwas unternehmen konnte. »Deine Großmutter hat Probleme, aber wir werden eine andere Lösung finden, die ihr hilft. Wir sprechen morgen mit ihr. Mach dir keine Sorgen, Ika. Keiner holt dich weg von hier, wenn du das nicht willst.«
    Er rutschte vom Klavierhocker. Ich streckte die Hand aus, um nach seiner zu greifen, doch er war bereits außer Reichweite. Ohne ein Wort verließ er das Zimmer. Ich hörte, wie er seinen kleinen Schlafraum betrat und den Vorhang zuzog.
    Ich blieb noch eine Weile sitzen, denn ich fühlte mich wie betäubt und konnte mich weder bewegen noch klar denken. Zum ersten Mal in meinem Erwachsenenleben überkam mich die Sehnsucht nach jemandem, der mir half. Irgendwann ging ich hinüber zum Sofa, wickelte mich in eine Decke und legte mich hin. Ich starrte in die Dunkelheit, bis sie sich langsam auflöste.
    Und ich merkte, dass ein neuer Tag begonnen hatte.
    Sie ist kein kleines Mädchen mehr. Sie fühlt sich, als wäre sie ein völlig anderer Mensch geworden. Sie ist fast neun Jahre alt und ganz allein. Sie wird lernen müssen, so zu leben. Sie weiß nicht genau, wie, aber es ist absolut notwendig. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Es ist leichter jetzt, da sie nicht mehr Marianne ist, denn sie hat nichts mehr zu verlieren.
    Niemand hat sie etwas gefragt. Alle sind sehr nett gewesen. Sie sehen freundlich aus. Sie sagen freundliche Dinge. Und doch haben sie ihr alles genommen. Sie schauen einander an – über ihren Kopf hinweg. Tuscheln hinter ihrem Rücken. Sprechen über sie, als wüssten sie Bescheid. Dabei wissen sie nichts. Und sie kann ihnen nichts sagen, weil sie nicht mehr dasselbe Mädchen ist. Es ist leer in ihr, und nichts tut weh. Sie ist ganz neu und total allein und hat nichts zu erzählen.
    »Du wirst schon sehen, alles wird gut. Du kommst zu deinem Onkel. Und dein Bruder wird bei netten Leuten leben, die ihn liebhaben und für ihn sorgen.«
    Aber die haben doch keine Ahnung! Sie wissen nicht, wie Daniel seine Milch mag. Dass er gern im Nacken gestreichelt wird, bevor er einschläft. Er wird große Angst haben und sehr einsam sein.
    Sie dagegen hat gar keine Angst. Es macht ihr nichts aus, allein zu sein.
    Es ist einfacher geworden. Die alte Marianne war eine traurige Gestalt, weil sie immer noch Hoffnung hatte, Sehnsucht. Die neue Marianne hofft auf nichts. Und sie weiß, dass sie ihr nichts mehr wegnehmen können, denn sie hat nichts mehr. Und sie weiß nichts.
    Sie ist sich absolut sicher, dass sie ihn noch nie gesehen hat. Die Frau mit den kurzen roten Haaren steht neben ihr, zu nahe, als wollte sie den Eindruck erwecken, dass sie zusammengehören. Sie sagt: »Das ist dein Onkel, Marianne.« Sie will nicht zu dieser Frau gehören, deshalb tritt sie einen kleinen Schritt beiseite. Die Frau legt ihr die Hand auf die Schulter. Vielleicht befürchtet sie, dass sie ihr entschlüpft. Warum sollte sie? Wohin könnte sie gehen?
    Es gibt keine Zuflucht für sie. Und niemanden, der ihr helfen kann.
    Auf dem Weg hierher im Auto drehte sich die Frau mit demselben verzweifelt freundlichen Gesichtsausdruck wie alle anderen, heiter und zugleich sehr traurig, zu ihr um.
    »Es wird nett sein, bei jemandem aus der eigenen Familie zu leben, oder?«, sagte sie und klopfte mit der Hand auf die Sitzlehne zwischen ihnen. Sie beugte sich so weit vor, dass sie Mariannes Atem riechen konnte, daher wandte sie sich ab und schaute aus dem Fenster. Marianne antwortete nicht. Was hätte sie erwidern sollen?
    Dieser Mann ist kein Familienangehöriger. Sie hat keine Familie. Dieser Mann ist ein Fremder und bedeutet ihr nichts. Und sie findet, er sieht aus, als dächte er dasselbe. Aber nun stehen sie

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