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Fremde am Meer

Fremde am Meer

Titel: Fremde am Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Olsson
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Wagen und kehrte mit zwei Bodyboards zurück, die nagelneu aussahen.
    Es war lange her, dass ich im Meer geschwommen war. Obwohl es bei praktisch all meinen Aktivitäten präsent war, badete ich fast nie darin. Es wurde empfohlen, hier nicht allein schwimmen zu gehen. Wegen der unberechenbaren Strömungen war das zu riskant.
    Ich hatte mich vorher nie einsam gefühlt, doch als ich jetzt am Strand stand und zusah, wie George und Ika sich auf ihren Boards in die Wellen stürzten, merkte ich zum ersten Mal, wie allein ich gewesen war. So allein, dass ich aufgehört hatte zu schwimmen. Meine Einsamkeit hatte mich nie gestört – ich war mir ihrer nicht einmal bewusst gewesen. Nun aber, da ich Gesellschaft hatte, überwältigte mich dieses Bewusstsein mit schmerzhafter Schärfe und löste tiefe Trauer in mir aus.
    Und so war es auch mit der Liebe meines Lebens gewesen. Erst als ich ihr begegnete, erkannte ich, was mir entgangen war. Ich hatte so lange ohne Liebe gelebt und nie das Gefühl gehabt, dass mir etwas fehlte, hatte sie nie vermisst. Es sei denn, die Rastlosigkeit, die mich zu der Trennung von meinem Mann gedrängt hatte, konnte als unbewusste Regung gedeutet werden. Als blinde Flucht aus einer unbefriedigenden Situation, ohne klare Richtung.
    Als alles vorbei war, hätte ich Michaels Frage beantworten können.
    Es ist der Punkt des Übergangs, an dem Bewusstheit entsteht. Der erste Schritt in einen anderen Zustand verändert alles. Solange ich unwissend gewesen war, hatte ich funktioniert. Aber nicht gelebt.
    Als ich nun mit den Handtüchern da stand und die beiden beobachtete, wurde mir klar, dass ich das hier nicht preisgeben durfte. Ich würde das Alleinsein nie wieder akzeptieren.
    Dann ließ ich die Handtücher zu Boden fallen und lief aufs Meer zu.
    An diesem Abend wollten wir bei George essen.
    »Ich bin kein guter Koch, nicht wie Sie, aber ich habe eine volle Speisekammer«, sagte er, als wir uns verabschiedeten. Er nahm Ika mit, und sie fuhren los.
    Ich ging ins Haus, um zu duschen. Danach schenkte ich mir, in mein Handtuch gewickelt, ein Glas Wein ein und setzte mich auf die Terrasse.
    Ich strich mir über die Arme. Natürlich war dies nicht mehr die Haut einer jungen Frau. Seltsam, dachte ich, wie man in seinem Körper lebt und es als selbstverständlich nimmt, dass er immer derselbe bleibt. Und er bleibt derselbe, aber auch wieder nicht. Alles, was ich war, wohnte in meinem Körper, der jedoch kaum Ähnlichkeit mit dem Körper des Mädchens oder der Frau hatte, der sich in meinen Erinnerungen zeigte. Das kleine Mädchen, das an der Hand des Großvaters ging. Das war ich. Das verzweifelte Kind auf der Fähre nach Stockholm. Das zitternde Mädchen in dem nassen, blutbesudelten Nachthemd – auch das war ich.
    Ebenso wie die Frau mit dem unbeschwerten Lachen.
    Ich drehte das Weinglas in meinen Händen, starrte aufs Meer und sah die unterschiedlichen Versionen meiner selbst vor mir und verspürte große Zärtlichkeit. Sie alle gehörten zu mir, und ich hatte Raum für jede einzelne. Sie waren alle ich. Ich war sie alle, ihre Summe.
    Ich ging die Zeitschrift holen und legte sie vor mich.
    Sie schaute mich mit unveränderter Eindringlichkeit an.
    Ich folgte ihren Gesichtszügen mit dem Finger.
    Es sah aus, als hätte sie eben den Kopf gewandt, weil jemand ihren Namen gerufen hatte, liebevoll. Die nassen Haare flogen ihr um den Kopf und erzeugten um sie herum einen glitzernden Sprühregen. Sie warf einen Blick über ihre Schulter, einen Blick voller Lachen. Ein unbeschwertes, selbstverständliches Lachen, das sie ganz zu umfangen, den Raum um sie ganz auszufüllen schien.
    Sie war ich.
    Als sie wieder zurück sind, ist es Zeit fürs Mittagessen. Er macht Rühreier mit Speck, und es riecht himmlisch. Sie setzen sich auf ihre niedrigen Klappstühle und essen genüsslich. Es ist, als versuchten sie, jeden Moment zu verlängern. Das Bier ist inzwischen lauwarm, aber trotzdem genießen sie eine weitere perfekte Mahlzeit.
    Sie weiß, dass er mit einem älteren Einheimischen, der eingewilligt hat, sich interviewen und fotografieren zu lassen, ein Treffen verabredet hat. Sie würde gern sehen, wie er arbeitet, hat jedoch das Gefühl, dass er mit dem Mann allein sein möchte, deshalb schlägt sie vor, dass er ohne sie fährt. Sie hat zu tun. Was auch immer. Wie soll sie es ertragen, auch nur wenige Minuten von ihm getrennt zu sein?
    Sie sieht, dass sie Recht hatte, denn er nickt. Und lächelt. Und sagt, es werde

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