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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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sie gelesen und welche Schallplatten sie gehört hatte, und er versuchte es mit einem Titel, einem Namen aus einem Buch oder mit Begriffen und Redewendungen, die zu ihrem normalen Sprachgebrauch gehört hatten. Oft starrte er einfach nur den Bildschirm an. Er interessierte sich sonst für nichts mehr, nicht für das Fernsehen und nicht für seinen CD-Spieler. Er saß allein in der Stille und lebte vor allem in der Vergangenheit. Das geheime Wort finden zu müssen diente ihm als Entschuldigung dafür, in der Vergangenheit zu bleiben, nicht nach vorn zu schauen. Außerdem gab es für ihn keine richtige Zukunft mehr, sondern nur noch Einsamkeit.
    Seine Beziehung zu Annie war natürlich zu schön gewesen, um von Dauer sein zu können, das hätte er wissen müssen. Oft hatte er sich gefragt, was diese Beziehung eigentlich ausmachte und wie das alles enden würde.
    Seine Großmutter sagte nichts, aber sie machte sich doch ihre Gedanken, zum Beispiel, daß er sich nützlich machen könnte, die kleine Rasenfläche hinter dem Haus mähen oder das Laub auf dem Hof zusammenfegen und vielleicht im Schuppen aufräumen. Das machte man nun einmal im Frühling. Man warf den Abfall weg, der sich im Winter angestaut hatte. Im
    Blumenbeet vor dem Haus mußte Unkraut gejätet werden, sie hatte selbst gesehen, wie die Tulpen kränkelten, Löwenzahn und Katzenschwänze hatten eine siegreiche Invasion durchgeführt. Er nickte jedesmal abwesend, wenn sie dieses Thema zur Sprache brachte, und setzte sich wieder an den Computer. Schließlich gab sie auf und dachte, was immer er da machte, müsse sicher sehr wichtig sein. Unter großen Mühen schaffte sie es, ihre Turnschuhe zuzubinden, und dann humpelte sie mit einer Krücke unter dem Arm aus dem Haus. Nicht oft war sie draußen auf dem Hof. Und nur an seltenen goldenen Tagen schaffte sie den Weg bis zum Laden. Sie stützte sich schwer auf die Krücke und ließ angesichts des Verfalls auf dem Hof den Kopf hängen. Dieser Verfall fand offenbar nicht nur in ihr statt. Alles wirkte grau und verwelkt, die Gebäude und der Hof, aber vielleicht ließ ganz einfach ihre Sehkraft zu sehr nach. Vielleicht kam auch alles zusammen. Sie stapfte über den Hof und öffnete die Schuppentür. Hatte sich plötzlich in den Kopf gesetzt, sich dort drinnen umzuschauen. Vielleicht waren die alten Gartenmöbel ja noch zu gebrauchen, auf jeden Fall konnten sie zur Zierde vor dem Haus stehen. Das sah gemütlich aus. Andere hatten ihre Gartenmöbel schon längst nach draußen gestellt. Sie tastete nach dem Lichtschalter an der Wand und knipste die Lampe an.

ASTRID JOHNAS BETRIEB im Osloer Westend eine Wollboutique.
    Sie saß an einer Strickmaschine und war mit einem weichen Angorateil beschäftigt, einem Kleidungsstück für ein kleines Kind vielleicht. Er betrat den Laden, räusperte sich vorsichtig, blieb hinter ihrem Rücken stehen und bewunderte ihre Arbeit mit eher verständnisloser Miene.
    »Das ist eine Wagendecke.« Sie lächelte. »Für den Kinderwagen. So was mache ich auf Bestellung.«
    Er starrte sie an, zunächst ein wenig überrascht. Sie war um einiges älter als ihr Exmann. Aber vor allem war sie von seltener Schönheit, und diese Schönheit verschlug ihm einen Moment lang den Atem. Es war nicht Elises sanfte, zurückhaltende Schönheit, sondern eine überwältigende, dunkle. Wider Willen blieb sein Blick an ihrem Mund hängen. Erst dann bemerkte er ihren Duft, vielleicht weil sie eine Bewegung in seine Richtung machte. Sie roch wie ein Süßigkeitenladen, leicht nach Vanille.
    »Konrad Sejer«, sagte er. »Polizei.«
    »Das habe ich mir gedacht.« Sie lächelte ihn an. »Ab und zu habe ich mich wirklich gefragt, warum ihr das so deutlich ausstrahlt, selbst wenn ihr in Zivil seid.«
    Er wurde nicht rot, fragte sich aber, ob er vielleicht in all den Jahren bei der Polizei einen besonderen Gang oder eine spezielle Art, sich anzuziehen, entwickelt haben könnte oder ob sie ganz allgemein schärfer beobachtete als die meisten anderen.
    Sie erhob sich und knipste ihre Arbeitslampe aus.
    »Kommen Sie mit ins Hinterzimmer. Ich habe ein kleines Büro für die Essenspausen und so.«
    Auf sehr weibliche Art ging sie vor ihm her.
    »Das mit Annie ist so schrecklich, daß ich fast nicht daran denken mag. Und ich habe so ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht auf der Beerdigung war, aber es ist die Wahrheit, daß ich das einfach nicht über mich gebracht habe. Ich habe Blumen geschickt.«
    Sie zeigte auf einen

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