Fremde Federn
Denkmal für George Washington stand in der Mitte. »Das erste Denkmal für George in den ganzen USA. Älter als das in D. C.« General Washington stand auf einer wunderschönen Marmorsäule. »Über zweihundert Stufen, aber ein großartiger Blick auf die Stadt. Wollen Sie hochgehen? Ich warte.«
Wieder lehnte Melrose ab; er war zu beschäftigt, Hughies Aussagen zu überprüfen. Sie waren korrekt - bisher. Er und Hughie schauten zu der Statue hoch. Der Künstler hatte Washington gestaltet, wie er etwas signierte oder übergab.
Regelrecht ehrfürchtig sagte Hughie: »Er unterzeichnet die Unabhängigkeitserklärung.« Dann stampfte er mit dem Fuß auf den Boden. »Hier auf diesen paar Quadratmetern sind ein paar hundert Soldaten aus dem Bürgerkrieg begraben.«
Melrose wühlte sich durch die Seiten. »Einen Moment. Sie verwechseln Washington und Jefferson, stimmt’s? Und meinen Sie nicht vielleicht den Unabhängigkeitskrieg?«
Hughie grummelte was von Haarspalterei, und sie kletterten ins Taxi zurück.
»Aber das Denkmal«, sagte Melrose, entschlossen, diese Fehlinformationsquelle zu verstopfen, »ist für General Washington.«
»Wer sagt’s denn«, meinte Hughie frohgemut und rammte den Schaltknüppel in den Gang. »Wo jetzt hin?«
»Zur Westminster Church«, seufzte Melrose.
Auf dem Weg dorthin fing Hughie an, über Napoleons Bruder zu reden. »Hat ein Mädchen aus Baltimore geheiratet, ehrlich.«
Napoleons Bruder. Melrose juckte es in den Fingern. Her mit einem Gewehr!
»Er ist mit einem Knopf in ihrem Spitzenkleid hängengeblieben. Ich frag mich« - Hughie kutschierte, lässig den Arm über den Sitz gelegt und zu Melrose umgewandt -»wo der Knopf wohl saß.« Er lachte lauthals los und schaffte es gerade noch, einem gewaltigen Sattelschlepper auszuweichen.
Der Fahrer des riesigen Gefährts, ein Schwarzer, vom Format eines Fängers der Redskins, drückte voll auf die Hupe, was Hughie veranlaßte, sein Fenster herunterzukurbeln und zu schreien: »Hast wohl nichts Besseres zu tun, Arschloch!« Was wiederum den LKW-Fahrer zu einem unüberhörbaren »Fick dich!« veranlaßte. Nachdem sich Hughie dergestalt um die Verbesserung der Straßenverkehrs- und Rassenbeziehungen verdient gemacht hatte, stieg er aufs Gas, um eine gelbe Ampel, die gerade auf Rot umschaltete, zu überfahren.
Er mäkelte über die anderen Autofahrer und die verstopften Straßen Baltimores im allgemeinen und das Taxifahren im besonderen. »Was für ein Job!« empörte er sich und gestikulierte in Melroses Richtung, als habe er einen Streit mit ihm angezettelt. »Was machen Sie denn so?« fragte er.
»>Machen«
»Ja. Um Ihre Brötchen zu verdienen? Es stört Sie doch nicht, wenn ich sage, daß Sie nicht so aussehen, als ob Sie am Hungertuch nagen.« Als das Taxi an der nächsten Ampel doch halten mußte, drehte er sich um und nahm Melroses Kaschmirmantel, Seidenschal und Hemd aus ägyptischer Baumwolle genauer in Augenschein.
»Ich bin ein reicher Müßiggänger.«
Hughie lachte. »Na, da ham Sie aber Schwein gehabt, was? Ham Sie son Herrenhaus, von denen mir meine Cousine immer erzählt? Da macht sie immer Besichtigungstouren hin.«
»Ja.« Melrose blätterte eine Seite in seinem Stadtführer um und folgte Familie Gast auf ihrem Spaziergang über den Monument Square. Viel Wissenswertes hatten sie aber auch nicht zu bieten.
»Sind Sie Lord oder Graf oder so was? Sind Sie von und zu?«
»Na ja, >Lord< heißt ja nun nicht immer, daß man adlig ist. Es ist auch eine Form der Anrede. Doch ja, ich bin einer. Beziehungsweise war es.« Normalerweise vermied Melrose das Thema seiner verwaisten Adelstitel, aber jetzt dachte er, Hughie würde seinen Spaß daran haben.
»Nei-ein! Sie verkackeiern mich!«
»Nein. Earl of Caverness, das bin ich. Und Viscount Ar-dry und alles mögliche noch dazu. Aber ich habe die Adelstitel aufgegeben.« Er klappte das Buch zu und betrachtete die überfüllten kleinen Läden, die vorbeizogen.
»Im Ernst?« Ein kurzes Schweigen. Das mußte Hughie erst einmal verdauen. »Und wie kommt’s, daß Sie die aufgegeben ham?«
»Hm. Wahrscheinlich, weil ich nicht adlig sein wollte.« Melrose bedauerte, daß er es angesprochen hatte.
Hughie kicherte. »Ham Sie Angst, die Verwandten machen Sie kalt?«
»Wie bitte?«
»Also, ich studier ja nun eigentlich auch Geschichte.
Und bei den Delawares, da passiert also folgendes: Der Neffe ermordet einen von seinen Onkeln, um den Titel zu kriegen, und stellt sich raus,
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