Fremde Federn
Amerikas.«
Er eilte zum Set, wo die Vorbereitungen bereits auf Hochtouren liefen. Eine der Schwestern, die sie hatte hereinkommen sehen, die robuste, war mit ihrem Kleid nicht einverstanden und fluchte wie ein Matrose. Überhaupt wurde viel geschrien und gebrüllt, aber niemand schien hinzuhören. Der einzige, der anscheinend die Ruhe bewahrte, war Billy Bitzer. Den Strohhut tief in die Stirn gezogen, beäugte er die Linse seiner Kamera. Griffith klopfte ihm auf die Schulter und fing an zu sprechen. Jetzt bemerkte man den Regisseur, und augenblicklich trat absolute Stille ein.
Fritzi war vor Aufregung fast schwindlig. Sie legte ihre Pappendeckelmappe im Korridor auf eine Bank und stopfte ihre Bluse in den Rockbund. Ein unglaublich hübsches Mädchen, sie mochte sechzehn, vielleicht siebzehn sein, kam die Treppe heraufgerannt. Ihre blonden Löckchen wippten auf und ab. Sie sah, daß Fritzi ihre Kleider in Ordnung brachte.
»Ich wette, Sie waren beim Chef. Ist er frech geworden?«
»Na ja .« Fritzis Zögern war ein halbes Eingeständnis.
»Machen Sie sich nichts draus, so ist er nun mal. Er ist verheiratet, müssen Sie wissen.«
»Verheiratet!«
»Hundertprozentig. Seine Frau dreht Filme für Biograph. Aber er gibt vor, sie kaum zu kennen. In der Öffentlichkeit nennt er sie Miss Arvidsen.« Sie kicherte. »Hat er Arbeit für Sie?«
»Nein, aber vielleicht bei einer anderen Firma.«
»Großartig. Es macht wirklich unglaublichen Spaß, Filme zu drehen. Mr. Griffith ist ein ganz normaler Regisseur, aber wir halten ihn alle für ein Genie.«
»Ich danke Ihnen, Miss .«
»Smith, Gladys Smith. Aber auf der Bildwand heiße ich Mary Pickford. Mein Bruder ist auch Schauspieler. Jack Pickford.«
»Ich freue mich, daß wir uns kennengelernt haben, Mary. Ich heiße Fritzi Crown.«
»Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder, Fritzi.« Miss Smith-Pickford eilte davon.
Ein eiskalter Wind blies Fritzi ins Gesicht, als sie das Gebäude verließ. Eine Abfalltonne rollte nach Osten und gab dabei laute, melodische Geräusche von sich. Die Fußgänger, die nach Westen unterwegs waren, hielten ihre Hüte fest und stemmten sich dem Wind in einem Winkel von fünfundvierzig Grad entgegen. Fritzi preßte ihre billige Pappendeckelmappe an sich und lief beschwingt die Stufen hinunter. Was machte es schon aus, daß der Film ein Western war? Er bedeutete Arbeit, und dieses eine Mal würde Ellen Terry ganz einfach den Mund halten müssen.
36. AUF IN DEN WESTEN!
David Griffith’ Gekritzel führte Fritzi zu einer Firma namens Klee & Thermal Film Exchange in der Vierzehnten Straße, nahe der Third Avenue. Kaum daß sie durch die Tür getreten war, wurde sie von einem unhöflichen Mann mit runden Filmbüchsen unter dem Arm angerempelt. Fünf weitere Männer stritten um die Aufmerksamkeit eines einzigen Angestellten hinter der Empfangstheke. Der Angestellte musterte einen perforierten Zelluloidstreifen.
»Er ist beschädigt, Cohen. Wir müssen die Einzelbilder mit der beschädigten Perforation herausschneiden, bevor wir ihn wieder ausleihen können. Das macht einen Dollar.«
»Halsabschneider«, zischte der ungehaltene Kunde.
Fritzi winkte dem Angestellten über Cohens Kopf hinweg. »Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, wo ich Mr. Hearns Büro finde?«
Der Angestellte schien sich zu freuen, endlich eine Rose unter all den Dornen zu sehen. »Mr. Hearns Schuhkarton«, verbesserte er sie, »befindet sich dort hinten, vierte Tür links.«
Sie hastete in einen muffigen Korridor, der mit blassen Filmpostern von Biograph und Vitagraph und anderen Firmen gepflastert war. Der ätzende Gestank nach Chemikalien trieb ihr die Tränen in die Augen. Ein weiterer Angestellter eilte, mehrere Filmbüchsen im Arm, an ihr vorbei. Sie drückte sich an die Wand, um nicht umgerannt zu werden, dann ging sie weiter auf die geöffnete Tür von Hearns Büro zu.
Ein Schuhkarton, der Mann am Empfang hatte recht gehabt. Die Armseligkeit wurde nur wenig gemildert durch die schwarzweißen Werbephotos, die an der Wand hingen. Unter allen Photos stand der Name PAL PICTURES und das dazugehörige Firmenzeichen, ein galoppierendes beigefarbenes Pferd. Darunter wiederum stand das Motto der Firma: »Reiten Sie mit dem Pal-Pony lukrativen Lichtspielen entgegen!!!!« Da schien jemand viel von Ausrufezeichen zu halten.
Eddie Hearn sah weder die Poster noch Fritzi. Er war in die Lektüre eines gelben Papiers vertieft. Auf seiner Nasenspitze saß ein Brillengestell aus
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