Fremde Federn
der erste.«
»Ich mag ehrliche Menschen. Ich kenne ein Dutzend Schauspielerinnen, die das Blaue vom Himmel herunter lügen würden, um eine Rolle zu kriegen.«
»Können Sie mir etwas über den Film sagen?«
»Ich bin mit Coopers Lederstrumpf-Geschichten aufgewachsen. Ich habe mich gefragt, warum Indianer in Filmen immer nur als hinterhältige Feiglinge dargestellt werden. Warum nicht als edle Wilde? Als wahrhaft amerikanische Helden? Deshalb habe ich dieses Drehbuch geschrieben.« Er deutete auf das gelbe Papier. »Mein ursprünglicher Titel lautete Der einsame Indianer. Mr. Pelzer, das ist einer der Firmeninhaber, begutachtet die Drehbücher. Er will Geld im Titel. Er sagt, alle Menschen interessieren sich für Geld.«
Nach diesen Geständnissen schien er unfähig, ein weiteres Wort herauszubringen. Sie sahen einander eindringlich an. Er errötete bis in die Haarwurzeln. Fritzi lächelte freundlich.
»Mr. Hearn, darf ich Sie fragen, ob Sie die Absicht haben, mich einzustellen?«
»Aber ja! Gewiß! Dem Aussehen nach sind Sie genau richtig, und ich finde es herrlich, wie Ihre Augen tanzen, wenn Sie lächeln; und was Ihr schauspielerisches Können anbetrifft, verlasse ich mich ganz auf David. Ob er recht hat, werden wir ja bald sehen.« Es blieb ihr nichts anderes übrig, als über seinen kleinen Witz zu lachen, obwohl ihr die versteckte Wahrheit einen Schauder über den Rücken jagte.
»Ich kann Ihnen zwei, vielleicht auch drei Tage Arbeit bieten, vorausgesetzt, wir haben schönes Wetter. Die Gage beträgt vier Dollar pro Tag. Mr. Kelly bezahlt außerdem die Straßenbahn, die Fähre und Ihr Mittagessen drüben in Jersey.«
»Wer ist Mr. Kelly?«
»Der andere Firmeninhaber. Er ist für die Finanzen zuständig. Sie wissen wohl, man sagt, alle Iren seien fröhlich und schrullig wie
Gnome. Aber wer so was sagt, kennt Kelly nicht. Er preßt aus jedem Dollar, den wir ausgeben, einen Dollar und zehn Cent heraus.« Seine hochgezogenen Augenbrauen ließen darauf schließen, daß es sich dabei nicht um einen beliebten Zug an Kelly handelte.
»Vier Dollar pro Tag«, überlegte Fritzi laut.
»Ja, und - was stimmt denn nicht?« Sie war aufgestanden und bemühte sich nach Kräften, eine unzufriedene Miene an den Tag zu legen.
»Mr. Hearn, ich weiß, daß Sie die Anweisung haben, Schauspieler billig einzukaufen, aber Biograph und andere gute Studios bezahlen fünf Dollar pro Tag, egal welche Rolle man spielt. Für weniger arbeite ich nicht.«
»Ich verstehe.« Er kaute auf seiner Lippe und gab sein Bestes, um wie ein hartherziger Kapitalist auszusehen. Es war ihm nicht gegeben.
»Also gut, fünf.«
Aus einer Schublade zog er ein weiteres gelbes Papier, faltete es und reichte es ihr über den Schreibtisch.
»Machen Sie sich mit dem Drehbuch vertraut, und seien Sie bitte am Dienstag morgen pünktlich um halb sieben an der Fähre Hundertneunundzwanzigste Straße. Den Kameramann treffen wir in Fort Lee, und von dort geht es weiter nach Coytesville - das ist ein kleiner Ort ganz in der Nähe. Ziehen Sie sich warm an. Um diese Jahreszeit kann es auch kalt sein, wenn die Sonne scheint.«
»Ich danke Ihnen, Mr. Hearn. Danke vielmals. Ich werde mein Bestes tun, Sie nicht zu enttäuschen.«
»Alle hier nennen mich Eddie. Bitte tun Sie’s auch. Wir sehen uns also am Dienstag.«
In einem Zustand der Verzückung schwebte sie aus dem Gebäude hinaus. Unweit des Herald Square genehmigte sie sich in einer Teestube einen heißen Tee und ein Stück Kuchen. Sie träumte von den Weihnachtsgeschenken, die sie nun würde kaufen können. Dann malte sie sich aus, was sie für sich selbst anschaffen würde: einen ovalen Teppich für den kalten, nackten Boden in ihrem Zimmer, einen rechteckigen Spiegel ohne Flecken und Risse.
Unterwäsche!
Sie dachte an all die Ausreden und Manöver, die notwendig gewe-sen waren, damit ihre Mutter während ihres Besuches den traurigen Zustand ihrer Unterwäsche nicht zu Gesicht bekam. Durch Fritzis klägliche Nähkünste waren aus kleinen Löchern riesige, steinharte Stopfbeulen geworden, die ihr ins Fleisch drückten, wenn sie sich falsch hinsetzte. Der Spitzenbesatz an einer Unterhose erinnerte an ungleiche Fransen, und der Stoff war so dünn, daß ein Mann alles gesehen hätte, vorausgesetzt, es hätte einen gegeben, der hinschaute. Neue Unterwäsche! Sie fügte dem Gedanken eine ganze Reihe von Pal-Pictures-Ausrufezeichen hinzu. Neue Unterwäsche war besser als eine Goldader.
Oh, welche
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