Fremde Federn
Silberdraht. Sein wirres schwarzes Haar, das die Ohren bedeckte, schrie nach einem Barbier. Er trug Reithosen, die in abgestoßenen Kavalleriestiefeln steckten, deren Absätze auf dem Schreibtisch lagen.
Fritzi klopfte an die Tür. Hearn blickte auf. Sein Gesicht war lang und schmal, seine Augen hinter den Brillengläsern dunkel und lebhaft. Ein Heiligenmedaillon glänzte im Ausschnitt seines aufgeknöpften weißen Hemds, ein Ehering an seiner linken Hand.
»Menschenskind, ich hab’ Sie gar nicht gehört. Sie sind Miss Crown, stimmt’s?« Gleichzeitig schwang er die Füße vom Schreibtisch, wobei er beinahe vom Stuhl gefallen wäre.
»Ja, Sir.«
»Bitte treten Sie näher.« In der Hast, sie zu begrüßen, fiel das gelbe Papier zu Boden. Als er sich bückte, um es aufzuheben, stieß er sich die Stirn an der Wand an. »Tut mir leid, daß ich Sie in dieser Umgebung empfangen muß. Das Büro ist einfach zu klein. Aber ist bloß eine Übergangslösung.« Sie hoffte für ihn, daß er recht hatte.
Auf seine Aufforderung hin nahm sie auf dem Besucherstuhl Platz. Er musterte sie. Sein Gesichtsausdruck war freundlich wie der eines jungen Hundes. »Waren Sie schon mal in einer Exchange?«
»Nein. Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, was hier vor sich geht.«
»Ein Tausch, genau das, was der Name verspricht. Als das Filmgeschäft in den Anfängen steckte, haben die Produzenten ihre Filme direkt an die Leute verkauft, die sie vorgeführt haben. Aber dieses Verfahren hat sich als schwerfällig und unrentabel erwiesen. Was macht man mit einem alten verkratzten Streifen, den keiner mehr sehen will? Ungefähr vor vier Jahren hat jemand in San Francisco die erste Tauschstelle eröffnet und damit das ganze Problem gelöst. Die Idee des Mittelsmannes hat sich bewährt. Er kauft die Filme, dann verleiht er sie gegen Geld an die Besitzer von Nickelodeons, die sie zeigen, zurückbringen und einen neuen Film dafür erhalten. Inzwischen gibt es viele Verleihbüros in der Vierzehnten Straße - und über hundert im ganzen Land. Wir sind eines der größten. Klee & Thermal besitzen im hinteren Teil des Gebäudes noch ein Labor zur Filmbearbeitung.« Deshalb stank es hier also nach Chemikalien.
»Wir haben auch einen Vorführraum, den wir vermieten.«
»Oh, das ist sehr interessant.«
»Und nun sitzen wir hier.«
»Ja.«
Fritzi wartete, die Hände gefaltet im Schoß.
»Ich bin David wirklich dankbar, daß er Sie geschickt hat. Der Mann hat meine größte Hochachtung, obwohl man glaubt, in Attilas Armee zu dienen, wenn man für ihn arbeitet. Er hat mir beigebracht, wie man eine Szene inszeniert und wie man sie hinterher schneidet. Billy Bitzer hat mir alles über Kameras und Beleuchtung beigebracht. Hat David Ihnen gesagt, was ich im Moment mache?«
»Einen Western.«
»Die Nachfrage ist enorm, hier und in Europa. Schauen Sie sich nur Bronco Billy Anderson an. Essanay kommt gar nicht nach mit seinen Bronco Billys. Die Leute sind verrückt danach. Dabei ist er ein Dickwanst!« Eddie Hearn grinste entschuldigend. »Bitte verzeihen Sie, daß ich mich habe hinreißen lassen. Ich liebe den Wilden Westen. Ich habe Buffalo Bills Show mindestens zwanzig Mal gesehen. Als ich klein war, hatte ich Groschenromane über den Wilden Westen unterm Kopfkissen versteckt. Das war nicht die richtige Lektüre für einen reichen Sprößling in Greenwich.«
»Connecticut?«
»Geboren und aufgewachsen«, antwortete er nickend. »Papa ist an der Wall Street. Er wollte, daß ich in seine Fußstapfen trete, aber als ich in einer Schulaufführung einen Indianer spielte, war mir klar, wohin mein Weg mich führen würde. Pa bestand darauf, daß ich ihm nach Yale folge. Den Gefallen hab’ ich ihm getan, aber schon im ersten Jahr hab’ ich statt der Betriebswirtschaft die Schauspielkunst gewählt. Daraufhin hat Pa seine Zahlungen eingestellt, und ich mußte mir mein Studium als Kellner und Hilfsarbeiter verdienen. Egal, ich mache, was mir gefällt. Als ich zum ersten Mal Edwin Porters Der große Eisenbahnraub sah, wußte ich, daß der Film mich nicht mehr loslassen würde.«
Er lehnte sich zurück. Er sah gut aus und besaß den natürlichen Charme der Iren. Seine Stimme war angenehm. Sein Lächeln und seine offene Art sorgten dafür, daß Fritzi sich in seiner Gegenwart wohl fühlte.
»Was haben Sie bisher als Schauspielerin gemacht?« Nachdem sie ihm das aufgezählt hatte, fragte er: »Haben Sie schon in einem Film mitgewirkt?«
»Nein, Ihrer wäre
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