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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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den Motor ja nicht abzuwürgen. Es gelang ihm, direkt vor dem Restaurant Heidelberg zu parken. So schnell beziehungsweise langsam es seine Arthritis erlaubte, stieg er aus dem Wagen. Nicky war der englische Chauffeur der Familie, loyal und schon ziemlich alt. Mit dem Schirm in der Hand humpelte er auf die Beifahrerseite hinüber, um zunächst Fritzi, dann Ilsa zu dem prächtigen Eingang zu geleiten. »Ich werde in einer Stunde und fünfzehn Minuten wieder hier sein, Mam.«
    »Danke, Nicky«, sagte Ilsa.
    Die erste Person, die sie im Foyer erblickte, war Rudolf, der Oberkellner. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die Ilsa überhaupt nicht mochte. Denn er war überheblich und hatte schlechte Manieren, die nach Ilsas Meinung eher auf den schlimmsten preußischen Kasernenhof gepaßt hätten. Rudolf, der am Hausapparat telefonierte, übersah sie geflissentlich.
    »Wir freuen uns auf Ihren Besuch, Herr Klosters, vielen Dank.« Mit unwirschem Gesichtsausdruck knallte Rudolf den Sprechtrichter auf die Gabel an der Wand und beugte den Kopf unverzüglich über ein Reservierungsbuch vom Umfang einer Altarbibel. Während er eifrig schrieb, machte sich Ilsa durch Klopfen mit der Schuhspitze bemerkbar. General Crowns Frau ließ nicht mit sich spaßen.
    »Rudolf. Können wir einen Tisch für zwei haben? Ich hatte keine Zeit, vorher anzurufen.«
    »Ganz unmöglich, wir sind voll ...« Er sah auf. »Oh. Gnädige Frau! Bitte entschuldigen Sie vielmals! Natürlich haben wir einen Tisch für Sie. Wer ist die junge Dame?«
    »Unsere Tochter Fritzi.«
    »Aber natürlich. Ja, ja, wie doch die Zeit vergeht! Wenn Sie mir
    bitte folgen wollen.«
    Er klemmte sich zwei riesige Speisekarten unter den Arm, schwenkte herum und marschierte mit großen Schritten, einem Stechschritt verdächtig ähnlich, voraus. Fritzi hob ihren Rock und schickte sich an, ihn nachzuahmen, aber Ilsa flüsterte: »Sei bitte nicht ungezogen!« Mit reumütiger Miene faltete Fritzi die Hände vor der Brust. Wider Willen mußte Ilsa lächeln.
    Rudolf wies ihnen ihre Plätze an, ohne das stumme Spiel bemerkt zu haben. »Boris wird umgehend bei Ihnen sein, meine sehr verehrten Damen.« Mit überschwenglicher Verbeugung entfernte er sich von ihrem Tisch. Fritzi nahm ihren Hut ab, dessen Band noch feucht vom Regen war.
    Aus Ilsa Crown war im Laufe der Jahre eine korpulente, achtunggebietende Frau geworden. Sie besaß markante, aber dennoch weibliche Gesichtszüge, die von Journalisten gern als »hübsch« bezeichnet werden. Sie war neunundfünfzig Jahre alt. Ihr hochgekämmtes silbergraues Haar wies keine Spur mehr des einstigen rötlichen Brauns auf. Sie war stets elegant und teuer gekleidet; heute trug sie eine weiße Bluse mit großer Schleife unter einem dunkelgrünen Schneiderkostüm, dessen Saum knapp über den Schuhen endete. Obwohl lange Rüschenröcke noch immer in Mode waren, waren sie ihrer Meinung nach nur Schmutzfänger. Männer, die über kürzere Röcke und über Frauen, die solche Röcke trugen, die Nase rümpften, fand sie nur idiotisch - noch dazu, wenn sie an so regnerische Tage wie den heutigen dachte.
    Sie streifte ihre langen mauvefarbenen Handschuhe ab. Insgeheim amüsiert, sagte sie: »Du kannst manchmal ganz schön boshaft sein, Liebchen. Etliche Gäste haben deine kleine Darstellung gesehen. Sicher haben sie Rudolf wiedererkannt.«
    »Weißt du«, gab Fritzi mit lässigem Schulterzucken zurück, »ich muß es diesem aufgeblasenen Tyrannen mal heimzahlen. Rudolf hat mir einmal eine Kopfnuß gegeben.«
    »Ist das wahr? Wann?«
    »Als ich klein war. Ich war mit dir und Papa hier. Ihr beide habt euch mit den Leiters unterhalten. Rudolf kam zu mir an den Tisch und zischte wie eine Schlange, ich solle nicht auf meinem angezogenen Bein sitzen. Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe, aber da hat er mir die Kopfnuß gegeben, so.« Sie ließ den Mittelfinger vom Daumen abschnellen.
    Ilsa mußte lachen, obwohl ihr eigentlich gar nicht nach Lachen zumute war. Sie hatte ihre Tochter nicht ohne ernsthaften Grund ins Restaurant eingeladen. Sie wußte, daß Fritzi unglücklich war. Nicht daß ihr das ganz plötzlich klar geworden wäre, nein, sie wußte es seit Monaten. Sie kannte ihre Tochter in glücklichen Zeiten. Wenn Fritzi zufrieden war, war sie nicht ruhelos. Sie runzelte nur selten die Stirn, ihre braunen Augen leuchteten, und alle erlagen ihrem heiteren Charme. Fritzi war keine Schönheit im herkömmlichen Sinne, gewiß nicht, aber es ging ein Strahlen

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