Fremde Federn
dünnen, fast durchsichtigen Blusenstoff nach vorne schob. Die Bewegung schien überzeugend darzustellen, was Lily war und was sie nicht war.
»Liest du denn keine Romane oder Gedichte?«
»Ich mag Poe, seine Gruselgeschichten. Und Dickens, von dem ich einiges gelesen habe. Viel Brimborium, aber interessante Figuren.«
»Kannst du irgend etwas von den beiden zitieren?«
»Ach komm, Fritzi! Ich konnte es kaum erwarten, bis ich alt genug war, nicht mehr die Schulbank drücken zu müssen.«
Fritzi saß neben ihr auf dem Bett im großen Schlafzimmer und überlegte. »Dann müssen wir uns etwas einfallen lassen, mit dem wir Mr. Pelzer rumkriegen. Irgend etwas Beeindruckendes, was aber trotzdem verständlich ist.« Sie dachte an die vielen Gedichte, die sie in der Schule hatte auswendig lernen müssen. »Tennyson. Der ist genau der Richtige! Hör dir das an.«
Sie sprang auf, legte eine Hand auf die Brust und trug vor.
»Breche, breche, breche,
auf deinen alten grauen Steinen, o Meer!
Wie ich wünschte, meine Zunge könnte künden
von den Gedanken, die mich durchzucken.«
Lily hob ihren mit Volants besetzten Rock und kratzte sich am Schenkel. »Versteh’ ich nicht.«
»Das spielt überhaupt keine Rolle, solange du nur so tust, als verstündest du’s. Es kann alles mögliche bedeuten, was immer du willst - die Gedanken, die dir einfallen, können Szenen sein, die dir so schnell durch den Kopf schießen, daß deine Hand zu langsam ist, sie aufzuschreiben.«
Unschlüssig schaute Lily sie an. »Wenn du meinst.«
Als sie am verabredeten Morgen in dem roten Wagen fuhren, war Fritzi genauso nervös wie ihre Freundin. Sie hatte Lily gebeten, nur einen Hauch von Rouge aufzulegen und sich nicht so stark anzumalen, wie sie es am Abend tat. Lily trug ihr schlichtestes Kleid. Vor dem Hauptgebäude drückte Fritzi Lilys Hand. »Laß dich nicht von ihm einschüchtern. Er ist im Grunde ein netter Mensch. Viel Glück!«
In der nächsten Stunde konnte Fritzi sich kaum auf ihre Arbeit mit Eddie konzentrieren. Als sie ungefähr um halb zehn ihre Szene beendet hatte und sich die schweißnasse Stirn mit einem Taschentuch abtupfte, sah sie, daß Lily winkend in Richtung Bühne gelaufen kam. Fritzi rannte ihr entgegen.
»Wie war’s?«
»Ich hab’ den Job. Ich bin die Drehbuchabteilung - zwanzig Dollar pro Woche, bis ihr nach New York zurückgeht.«
»Lily, das ist ja wunderbar!« Sie tanzten im Polkaschritt umeinander herum, und Jock Ferguson und Eddie lachten mit ihnen.
»Aber es kommt noch besser. Mr. Pelzer meinte, wenn es mit uns klappt, beschäftigt er mich wieder, wenn ihr nächsten Winter zurückkommt. Das verdanke ich alles dir. Er liebt Tennyson.«
Eine andere von Haymans großartigen Ideen führte dazu, daß jemand das Team verließ.
Während sich Fritzi in einem übelriechenden Pferdestall umzog, hörte sie, wie sich die Kompagnons draußen vor dem Stall stritten.
Hayman: »Kalem veröffentlicht bei jedem neuen Film eine Liste mit den Namen der Schauspieler.«
B. B.: »Aber ich nicht, Ham, einen Film verkauft man nur über den Firmennamen. In World wirbt ein Filmvorführer: Täglich ein neuer Biograph<.«
»Unsinn«, sagte Hayman. »Du kriegst doch Briefe, in denen nach den Schauspielern gefragt wird, oder etwa nicht?«
B. B.: »Hin und wieder fragt einer nach Owen, aber viel öfter fragen sie nach Fritzi. Trotzdem ...«
Hayman: »Mach die Namen bekannt! Mach die Namen zu Geld! Mit den Florence-Lawrence-Filmen hat man das auch so gemacht.«
Kelly: »Nachdem sie von Biograph weg war. Für andere macht sich Biograph nicht stark.«
Hayman: »Das sind Idioten. Sie hatten die gewinnträchtigsten Schauspieler Amerikas. Mary Pickford kommt ganz groß raus, seit sie und ihr Süßer zu Laemmles IMP gegangen sind.«
Kelly: »Ich warne euch. Wenn die Schauspieler namentlich aufgeführt werden, wollen sie auch mehr Geld.«
Hayman: »Na und? Wenn wir Stars haben, die das Publikum kennt und sehen will, verdienen wir doch auch mehr Geld. Du mußt umdenken, Al - umdenken! Es ist wie mit dem Meer. Es ist immer da, dagegen kann man nichts machen, aber wenn man mit dem Strom schwimmt, trägt er einen an wunderbare, neue Orte.«
B. B.: »Ich finde den Vorschlag gut.«
Fritzi hörte schwere Schritte; wahrscheinlich schlurfte der überstimmte Al davon.
Für den nächsten Film mit dem Titel Die Flucht des einsamen Indianers kehrten sie in die wilde, einsame Gegend von North Highland zurück, genannt Daisy Dell. Am ersten
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