Fremde Federn
abend in dem Gasthaus kam es dann zum Streit. Mit Leuten, die er überhaupt nicht kannte.«
»Wer hat angefangen?«
»Barney, nach einer halben Flasche Whiskey. Drei von uns haben ihn zurückgerissen, was aber gar nicht in seinem Sinne war. Deswegen hat er mir ein paar verpaßt.«
»Das ist ja furchtbar. Warum arbeitest du für ihn?«
»Das frage ich mich manchmal auch«, antwortete Carl. »Ich brauche noch fünf Minuten, dann können wir los.«
Als er wieder zurückkam, waren Gesicht und Hände sauber. Er trug eine weite Jacke und um den Hals einen eleganten roten Seidenschal.
In Venice überquerten sie im schwindenden Frühlingslicht den Lion-Kanal auf einer bogenförmigen Fußgängerbrücke. Fritzi zeigte Carl, wo sie wohnte. Dann schlenderten sie über mehrere Inselchen, bevor sie zur Promenade zurückkehrten. Unweit der neuen, geräuschvollen Cloud-Race-Achterbahn fanden sie ein kleines deutsches Restaurant, wo sie zu Abend essen wollten. Carl stürmte durch die Tür, wie er es früher als kleiner frecher Junge getan hatte. Er setzte sich nicht einfach auf einen Stuhl, sondern ließ sich regelrecht fallen, so daß der Stuhl knarzte und die Kellner den Atem anhielten.
Bei Schweinekoteletts, Kraut, Bratkartoffeln und Crown-Bier tauschten sie Neuigkeiten aus. Am leichtesten sprach es sich wie immer über die Eltern.
»Was wird Pa machen, wenn die Abstinenzler Oberhand gewinnen und das Alkoholverbot durchsetzen?« fragte Carl.
»Da kann ich natürlich nur Vermutungen anstellen, ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen und auch nichts von ihm gehört.«
»Immer noch das alte Problem, mh? Wirklich schade!«
Fritzi wandte den Blick ab, bestrebt, das Thema zu wechseln. »Ich nehme an, daß Crown und die anderen Brauereien zumachen müssen. Oder sie müssen etwas herstellen, was nicht gegen das Gesetz verstößt.«
»Das würde Pa umbringen.«
Ihr Seufzen drückte Zustimmung aus.
Langsam wurde Carl etwas entspannter. Er sprach mit Begeisterung von seinem neuesten Traum, ein Flugzeug zu fliegen. Zum Nachtisch aß er zwei Stück Minz-Pie mit Schlagsahne.
In einem Brief hatte er von einem Mädchen namens Sissie geschrieben. »Ich erinnere mich auch an eine Margaret, und in einem deiner Briefe schriebst du von einer Frau in El Paso«, bohrte Fritzi nach. »Entschuldige, daß ich so neugierig bin, aber hast du vor, eine von denen zu heiraten?«
Ein Schatten huschte über Carls Gesicht. »Eher nicht. Es gab da eine Frau, aus der hab’ ich mir wirklich was gemacht, oben in Detroit. Sie hieß Tess. Ihr Vater und seine Freunde waren ein ziemlich eingebildeter Haufen, aber Tess war anders. Sie war wunderbar. Ich hatte mir ernsthaft überlegt, zu bleiben und ein guter Ehemann zu werden, aber - ach, ich weiß nicht. Irgend etwas hat mich fortgetrieben. Wie immer.«
Skeptisch lächelnd setzte er hinzu: »Manchmal frage ich, ob es an Papa liegt. Vielleicht fürchte ich, daß er mich irgendwie nach Chicago zurückholen könnte, wo ich mich den Rest meines Lebens mit ihm auseinandersetzen müßte. Ich liebe ihn, aber er ist ein Tyrann. Ach, wer weiß?« Er griff nach seiner Tasse und hätte dabei beinahe seinen Kaffee verschüttet. Immer noch der alte Tolpatsch, wie ein junger Hund, dachte Fritzi gerührt. Sie merkte wohl, daß er das Thema wechselte.
»Und wie sieht es bei dir aus, Schwesterchen? Gibt es da einen Mann?«
»Im Moment nicht.«
»Was ist mit den Schauspielern beim Film? Sind die nicht teilweise sehr attraktiv?«
»Schon, aber alle lassen sich in drei Kategorien einteilen: Verheiratet und glücklich. Verheiratet und Schürzenjäger. Oder schrecklich verliebt - in eine andere.«
Er lachte. »Du möchtest aber doch irgendwann seßhaft werden, oder nicht?«
»Ach, ich muß an meine Karriere denken. Wenn wir im Sommer wieder in New York sind, versuche ich es noch einmal beim Theater. Ich habe immer gesagt, daß ich die Filmerei nur vorübergehend betreibe.«
»Schwesterchen, weich mir nicht aus!«
»Natürlich möchte ich irgendwann seßhaft werden. Ich habe auch Gefühle, ich bin schließlich kein weiblicher Eunuch.« Sie neigte ihren Kopf. »Gibt es überhaupt weibliche Eunuchen?«
»Ich bezweifle es. Halte nur nach deinem Mann Ausschau. Dann findest du ihn.«
Um nicht länger über dieses Thema reden zu müssen, öffnete sie ihre Handtasche und zog eine Postkarte heraus. »Da, das wollte ich dir zeigen.«
Er schaute das Photo an und rief: »Das bist ja du!« Es zeigte Fritzi in einer ziemlich
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