Fremde Federn
affektierten Pose; sie trug ein rüschenbesetztes Kleid und einen federgeschmückten schwarzen Hut. Unter dem Photo stand:
FRITZI CROWN
Star der Liberty Pictures
»Noch zwei andere Schauspieler haben Karten. Die Filmtheater verkaufen sie für zehn Cent das Stück. Eine Idee meines Chefs. Du wirst ihn kennenlernen, wenn ich dir das Filmgelände zeige.«
Nach drei Tagen waren zwar Carls blaue Flecken immer noch deutlich zu sehen, aber er schien in besserer Stimmung, nachdem er seinen Arbeitgeber ein Weilchen nicht gesehen hatte. In einer Eisdiele ließen sich die Geschwister auf Drahtstühlen an einem Spiegelglasfenster nieder und aßen Schokoladeneis. Es war ihr letzter gemeinsamer Tag. Am Samstag würde die Oldfield-Truppe nach San Diego weiterreisen; morgen und den Rest der Woche mußte Fritzi arbeiten.
Sie brachte die Sprache auf ein Thema, das sie bis jetzt noch nicht angeschnitten hatte. »Du hast mir gar nicht gesagt, daß Barney Oldfield in der Spring Street einen Saloon eröffnet hat.«
»Er und ein Partner, irgendein Typ, der früher für die Eisenbahn gearbeitet hat.« Carl schleckte schnell an seinem Eis, das von der Waffel herunterzulaufen drohte. »Barney hat da fast alles dem anderen überlassen. Aber dieser Saloon ist einer der Gründe, warum wir nach Los Angeles gekommen sind. Ich habe nichts davon erwähnt, weil ich dich dorthin nicht mitnehmen kann.«
»Warum nicht?«
»Da verkehren nur Männer. Wenn der Saloon so ist wie Barney, dann herrschen dort ziemlich rauhe Sitten.« Er zögerte, doch dann brach es aus ihm heraus. »Überall, wo wir einkehren, kommt es zu einer Schlägerei. In der Regel fängt Barney an. Er spielt anderen Leuten, auch Fremden, mit Vorliebe üble Streiche.«
»Du arbeitest nicht gern für ihn, hab’ ich recht?«
»Nicht mehr. Bevor ich unterschrieben hatte, konnte ich mir nichts Besseres vorstellen. Jetzt habe ich die Nase voll. Barney ist
große Klasse, wenn er nüchtern ist. Ist er es nicht, und das ist meistens der Fall, behandelt er seine Leute wie den letzten Dreck. Das Geld und der Ruhm haben ihn verändert, und seit ihn Burman überrundet hat, wird es immer schlimmer. Du hast ja gesehen, was auf der Rennbahn passiert ist.«
»Hat er dich mit Absicht angefahren?«
»Das glaube ich nicht mal. Er überlegt nicht, das ist das Problem. Er ist andauernd geladen vor Wut.«
»Möchtest du aufhören?«
»Ich denke oft daran.«
»Wenn du aufhörst, was machst du dann?«
Carl konnte ihrem Blick nicht standhalten. »Das eben ist die Frage, auf die ich keine Antwort habe. Vielleicht werde ich nie eine haben. Vielleicht finde ich einfach nicht raus, wo mein Platz im Leben ist. Nachts habe ich deswegen manchmal schreckliche Angst.«
Sie nahm seine Hand und drückte sie fest. In manchen Nächten verfolgte auch sie diese Angst, wenn sie über dieselbe Frage nachdachte.
»Und was ist mit der Frau, Carl, mit der aus Detroit?«
Sie erschrak über den harten, gequälten Ausdruck, der auf sein Gesicht trat; jetzt erst begriff sie die Tiefe seines Gefühls.
»Tess? Was soll mit ihr sein?«
»Könntest du nach Detroit zurückkehren, ich meine zu ihr?«
»Wahrscheinlich ist sie inzwischen verheiratet.«
»Aber du weißt es nicht.«
In Carls dunklen Augen spiegelten sich Schmerz und Unsicherheit. »Vielleicht will ich es gar nicht wissen, Schwesterherz.«
Darauf wußte sie nichts zu sagen.
53. MICKEY FINN
Einen Tag nach seinem letzten Ausflug mit Fritzi saß Carl vor einem Teller mit geräucherten Würstchen. Er kaute auf einem Bissen Wurst herum, leckte die Spitze eines Bleistifts und beschrieb langsam eine farbige Postkarte, auf der die letztjährige Flugschau in Dominguez Field abgebildet war. Es war fünf Uhr abends. Seit Monaten hatte er Tess keine Karte mehr geschickt, und er wußte auch nicht, ob die sie überhaupt erreichen würde. Ein tiefes Gefühl drängte ihn, ihr ein Lebenszeichen zukommen zu lassen und ihr mitzuteilen, daß er an sie dachte. Er dachte mehr an sie, als dem Gekritzel zu entnehmen war, das seinen lebenslangen Kampf mit der Schönschrift zum Ausdruck brachte.
Ungefähr ein Dutzend Gäste standen an der langen Mahagonitheke, nur Männer, die meisten aus der örtlichen Zeitungs- und Sportszene. Während sie die offerierten Platten mit Truthahn-, Schinken-und Käseaufschnitt leerten, unterhielten sie sich über Boxen und Baseball. Einen Tag, nachdem Barney das Lokal das erste Mal gesehen hatte, hatte er entschieden, daß »Saloon« nicht die
Weitere Kostenlose Bücher